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Hier wird entweder die „Mean-of-maximum“-Methode oder das Verfahren der Schwerpunkt-
berechnung verwendet. In dieser Hinsicht handelt es sich um Standardversionen eines Fuzzy-
Expertensystems.
Der entscheidende Aspekt ist nun die Dynamisierung des Gesamtsystems. Dabei werden zwei
Annahmen gemacht, die sich aus praktischen Erfahrungen ergeben haben:
Zum einen wird angenommen, dass ein Experte um so eher bereit ist, sein Urteil - und ggf.
auch seine Begründungsregeln - zu modifizieren, je stärker er von der durchschnittlichen Mei-
nung seiner Gruppe abweicht. Diese Annahme hat offenbar starke Ähnlichkeit mit entspre-
chenden Annahmen für die verschiedenen Versionen des OPINIO Zellularautomaten, bei de-
nen das Maß der Abweichung von einer Gruppenmeinung ebenfalls ein Parameter für die Be-
reitschaft zur Änderung der eigenen Meinung ist. Zum anderen wird das Maß an Sicherheit,
mit dem die Experten ihr Urteil bilden, als Parameter dafür genommen, ob und wie signifikant
die Experten ihr Urteil bzw. auch ihre Regeln verändern: Je sicherer sich die Experten sind,
desto weniger sind sie bereit, ihr Urteil zu revidieren und umgekehrt.
Offenbar können sich diese beiden Parameter sowohl gegenseitig verstärken als auch gegensei-
tig aufheben. Eine Kombination dieser beiden Parameter ergibt dann eine fuzzyfizierte „Varia-
tionsregel“, nach der das Maß der Expertenveränderung bestimmt wird. 9
Das Gesamtprogramm wird dadurch gestartet, dass in jedes einzelne Expertensystem die prob-
lemspezifischen Vorgaben eingegeben werden, worauf jeder künstliche Experte gemäß seinen
Regeln sein Urteil abgibt. Diese Urteile werden an die jeweils anderen Expertensysteme wei-
tergegeben, worauf jedes Expertensystem bestimmt, ob und ggf. wie stark das eigene Urteil
und evtl. auch die eigenen Regeln modifiziert werden sollen. Die einzelnen Expertensysteme
erhalten dann die neuen Ergebnisse und modifizieren entweder ihre Urteile oder variieren ihre
Regeln und bilden daraufhin neue eigene Urteile. Dies Verfahren wird so lange iteriert, bis ein
Konsens, also ein Punktattraktor gefunden ist oder bis ein anderes Abbruchkriterium erreicht
wurde. Im zweiten Fall erhält der Benutzer die Information, dass es nach wie vor abweichende
Meinungen gibt. Der Benutzer kann dann entscheiden, ob die Simulation mit veränderten An-
fangsbedingungen erneut durchgeführt wird, d. h. einerseits mit veränderten P-Funktionen für
die Interpretation der Vorgaben durch die einzelnen Expertensysteme und andererseits mit
modifizierten Fuzzy-Regeln für die einzelnen künstlichen Experten. Zusätzlich kann man auch
die beiden Parameter für die Bereitschaft zur Veränderung variieren.
Das Besondere an diesem Fuzzy Expertensystem ist zweifellos dessen Dynamik, mit der reale
Delphi-Expertengruppen simuliert und ggf. auch unterstützt werden können. Insofern stellt dies
System eine interessante Version dar, durch die auch Expertensysteme im Kontext dynami-
scher komplexer Systeme verstanden und angewandt werden können. Es hat natürlich schon
seit einiger Zeit verschiedene Ansätze gegeben, Expertensysteme durch Kombination mit ande-
ren Methoden mit einer gewissen Dynamik zu versehen; klassisch sind die erwähnten
„Classifier Systems“ von John Holland, eine Kombination von Expertensystemen mit geneti-
schen Algorithmen (cf. Holland et al. 1986). Die Simulation einer Gruppe „realer“ menschli-
cher Experten durch ein dynamisches Gesamtsystem von Expertensystemen ist jedoch prak-
tisch Neuland. 10
9 Gemäß unseren mehrfachen Hinweisen zum Verhältnis von Unschärfe und Wahrscheinlichkeit
insbesondere beim „Fuzzy OPINIO ZA“ wird deutlich, dass man eine Kombination der beiden
Parameter auch als Wahrscheinlichkeitsmaß für eine stochastische Veränderungsregel nehmen kann.
10 Ein nicht dynamisches Fuzzy-Expertensystem zur Abschätzung betrieblicher Kosten findet sich im
Detail in Klüver und Klüver 2011.
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