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5.1 Einführung in die Grundbegriffe: Von der Unschärfe
der Realität
Wir beginnen mit den Fuzzy-Mengen und schließen daran die Fuzzy-Logik an. Die Reihen-
folge ist eigentlich beliebig, da beide Konzeptionen parallel entwickelt wurden und in ihrer
Gleichartigkeit auch in einer anderen Reihenfolge dargestellt werden können. Aber irgendwie
muss man ja anfangen.
Das Konzept der Fuzzy-Mengenlehre (fuzzy set theory) oder auch der Theorie der unscharfen
Mengen als Orientierung für die Fuzzy-Logik sowie als Erweiterung der klassischen Mengen-
lehre ist von dem Mathematiker Zadeh in den Grundlagen bereits in den sechziger Jahren ent-
wickelt worden (das englische Wort fuzzy ist am besten im Deutschen mit „unscharf“ wieder-
zugeben). Seine Ideen wurden relativ rasch von einzelnen Logikern und Linguisten aufge-
nommen und zum Teil weiter entwickelt; dennoch wurde die Fuzzy-Mengenlehre insgesamt
eher als ein Fremdkörper in der Mathematik und Informatik angesehen. Es blieb vor allem
japanischen Ingenieuren überlassen, seit Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts
die Ideen von Zadeh aufzunehmen und diese vor allem im Bereich der Steuerung technischer
Anlagen durch Fuzzy-Systeme einzusetzen; dies nennt man entsprechend auch Fuzzy-Control.
Mittlerweile werden Fuzzy-Methoden nicht nur in technischen Kontexten verwendet, sondern
auch zur Optimierung von KI-Systemen wie die Expertensysteme und die neuronalen Netze
eingesetzt; bei letzteren spricht man dann von „Neuro-Fuzzy-Methoden“.
Die Grundidee von Fuzzy-Mengen bzw. unscharfen Mengen, wie wir im Folgenden sagen
werden, ist die folgende:
Seit dem Begründer der klassischen Mengenlehre Georg Cantor werden Mengen definiert als
„Zusammenfassungen wohl unterschiedener Objekte“. Daraus ergibt sich insbesondere die
Konsequenz, dass bei einer gegebenen Menge M ein Element x entweder eindeutig zur Menge
M gehört oder nicht. Ein Objekt, das an uns vorbei fliegt, ist entweder ein Vogel oder nicht;
falls nicht, ist es entweder ein Insekt oder nicht; falls nicht, ist es entweder ein Flugzeug oder
nicht etc. Diese Konsequenz haben wir natürlich auch ständig stillschweigend unterstellt, wenn
wir bei den verschiedenen Soft Computing Verfahren von „Mengen“ gesprochen haben.
Klassische Kognitionstheorien vertraten generell die Ansicht, dass die wahrnehmbare Welt von
uns in Hierarchien von Begriffen gegliedert ist, die sich sämtlich genau bzw. „scharf“ vonei-
nander unterscheiden lassen. Entsprechend operiert ja auch die herkömmliche mathematische
Logik mit genau unterschiedenen Wahrheitswerten, nämlich 0 und 1, falsch oder wahr (vgl.
z. B. die binären Booleschen Funktionen). Allerdings ist diese Grundannahme aus philosophi-
scher und kognitionstheoretischer Sicht häufig bezweifelt worden, da Menschen eben auch in
„unscharfen“ Begriffen wie „mehr oder weniger“ denken und sprechen. Wir sind es ja auch im
Alltag durchaus gewöhnt, dass Objekte nicht unbedingt in genau eine Kategorie passen. Ist ein
Teilnehmer von „Wer wird Millionär“, der 10 000 Euro gewonnen hat nun „reich“ oder nicht?
Er ist es „mehr oder weniger“, da „Reichtum“ wie viele unserer Alltagsbegriffe, vom jeweili-
gen Kontext abhängt. In einem Millionärsklub ist unser Gewinner „weniger reich“, unter Ver-
käufern von Obdachlosenzeitungen sicher „mehr“. Hier sind klassische Mengenlehre und Lo-
gik nur noch sehr bedingt anzuwenden. Erst die Erweiterung der klassischen Mengenlehre und
Logik durch Zadeh gab die Möglichkeit, eine Mathematik des „Unscharfen“ zu entwickeln.
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