Environmental Engineering Reference
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4.3.1
Der Symbolgehalt von Kulturpflanzen
Die Debatte um eine energetische Verwendung von Pflanzen berührt die Ebene der kul-
turellen Symbole. Besonders Getreidesorten wie beispielsweise Brotweizen weisen für
bestimmte Gesellschaftsgruppen eine (schwer messbare) symbolische Funktion auf, die
unter gegebenen Umständen mit einer energetischen Nutzung dieser Kulturpflanzen in
Konflikt geraten kann (Flaig und Mohr 1993; Rottenaicher 1993; Brüggemann 2001; Vogt
2002; Formowitz et al. 2011).
Der Ausgangspunkt der Debatte ist ein ökonomischer: Wenn der Landwirt für die
energetische Verwendung seines Getreides von Energieproduzenten ein besseres Angebot
erhält als von der Nahrungsmittelindustrie, fällt die Entscheidung aus wirtschaftlichen In-
teressen für die Energiewirtschaft als Abnehmer.
Gleichzeitig sträubt sich in vielen Menschen etwas, wenn sie hören, dass Getreide
energetisch genutzt wird. Dieses Gefühl der Empörung wurzelt nicht zuletzt in der kul-
turgeschichtlichen Bedeutung von Getreide: Seit der neolithischen Revolution trägt die
Kultivierung bestimmter Pflanzen maßgeblich zu einer sicheren Nahrungsversorgung bei
(Barlösius 1999, S. 11). Auch in der Gegenwart sind die Getreidesorten Weizen, Roggen,
Hafer, Gerste, Reis, Hirse und Mais von zentraler Bedeutung für die globale Ernährung
(Aufhammer 1998, S. 158 ff.).
Durch die historische Tatsache, dass Getreide seit jeher ein bedeutsames Grundnah-
rungsmittel des Menschen war und immer noch ist, ergibt sich seine starke symbolische
Bedeutungszuschreibung, die sich auch in zahlreichen Gleichnissen und Metaphern des
Neuen Testaments (vgl. etwa Mt 13, 1-9 oder Joh 6, 35) niederschlägt: Getreide steht für
Fruchtbarkeit und für das Leben selbst (Berger 1993, S. 93-97).
Es lässt sich also festhalten, dass bestimmte Kulturpflanzen, insbesondere Getreidesor-
ten, aufgrund ihrer traditionellen Rolle als Grundnahrungsmittel einen hohen symboli-
schen Gehalt aufweisen. Entsprechend wird ihre energetische Nutzung als Grenzüber-
schreitung wahrgenommen, auch wenn in der Regel andere Sorten für den jeweiligen
Nutzungspfad angebaut werden. Im realpolitischen Diskurs ist diese Position meist eng
verbunden mit dem Argument, dass in einer Welt, in der eine Milliarde Menschen hun-
gern, keine Grundnahrungsmittel verbrannt werden dürfen. Ohne Zweifel ist die Zahl der
hungernden und unterernährten Menschen angesichts des Produktionsvolumens der glo-
balen Wirtschaft ein Skandal. Inwieweit die energetische Nutzung von Agrarprodukten die
Situation der Welternährung beeinflusst, ist dabei Anlass heftiger Kontroversen. Der unter
dem Schlagwort des „Teller-Tank-Konflikts“ diskutierte Zusammenhang von Energie aus
Biomasse und Nahrungssicherheit wurde in der sozialethischen Diskussion eigens erörtert
(vgl. Kap. 4.2, Betroffenengruppe „Internationale Nahrungsmittelkonsumenten“).
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit eine derartige symbolische
Aufladung Berücksichtigung verdient. Zuallererst fällt es schwer, an objektiven Kriterien
festzumachen, welche Kulturpflanze einen relevanten symbolischen Gehalt aufweist und
welche nicht. Während beispielsweise das Verbrennen von Weizen in Deutschland oftmals
auf Empörung stößt, verletzt die energetische Verwendung von Sorghum kaum Wertzu-
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