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so, weil er einer der aus Spanien stammenden Juden ist, ein Sephardim. Einer von
jenen, deren Familien seit mehr als fünhundert Jahren hier leben. Seit jenem Jahr
1492 , da Ferdinand und Isabella von Spanien alle Juden in ihrem Reih vor die Wahl
stellten: Werdet Christen oder lieht. Fast alle lohen. Die meisten ins noh junge
Reih der Osmanen. Sultan Beyazid hate sie eingeladen, begierig nah ihrem Wis-
sen und ihren Talenten, und bald waren die osmanishen Juden die wohlhabendste
Gemeinde der Diaspora. In Saloniki stellten sie bis zum Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts die Mehrheit der Bürger, den Istanbuler Stadteil Balat mahten sie
zu Europas größter jüdisher Siedlung. Noh immer leben zwanzigtausend Sephar-
dim in Istanbul, Hüter einer Sprahe, die sie aus ihrer einstigen Heimat mitbraht-
en. Wer aufpasst, der kann sie heute noh hören: im Sommer auf den Prinzeninseln
oder in den Ufercafés des Bosporus, wo sih rührige alte Damen auf einen Tee und
eine Partie Karten treffen und auf einmal vom Türkishen in jenes merkwürdig an-
rührende Spanish verfallen, das sie sih aus dem Mitelalter bewahrt haben und das
sie hier Ladino nennen. Und doh gibt es heute junge Türken, die von alledem nihts
wissen.
Auh deshalb shreibt Mario Levi. »Damit die Geshihten von einem zum andern
ließen.« Um die Lüken zu füllen, die sih aufgetan haben in der Erinnerung, aber
auh im Antlitz dieser Stadt, die noh voll ist vom Erbe der Verdrängten, von Ins-
hriten auf Häusern, Kirhen und Synagogen, deren Letern heute shon wie fremde
Chiffren anmuten, obwohl sie doh gestern noh hier zu Hause waren, die Juden und
die Griehen und die Armenier. Voll von Gräbern ist die Stadt, die in fremden Sprac-
hen Istanbuler Geshihten erzählen, von verfallenen Holzhäusern voller Moder, in
denen noh der Geist des alten Istanbul spukt und an die sih bis heute kein Bull-
dozer wagt. Aus shlehtem Gewissen? Dies ist eine verwundete Stadt.
Mario Levi erzählt von seinem Volk. Und von Nikos, dem Griehen, der mit
dem einarmigen Onkel Kirkor auf der Straße Tavla spielt, wie sie Bakgammon
hier nennen. Von der untröstlihen Olga, die wie andere jüdishe Flühtlinge aus
Osteuropa das Versprehen gelokt hate, in den Gassen um den Galataturm in Istan-
bul könne man »selbst auf der Straße Jiddish sprehen«. Von den Tagen, da der
Lodos, der aufwühlende Wind aus Südwesten, niht nur uallen und Tang an-
shwemmte, sondern auh den Geruh frish gerührter Shokolade ins Haus wehte,
die der Chocolatier von Pera zubereitete. So lange ist es ja noh niht her, dass Istan-
bul eine Vielvölkerstadt war. Heute leben gerade noh zweieinhalbtausend Griehen
hier. Juden, immerhin, sind es noh zweiundzwanzigtausend.
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