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Letzteres ofenbar meist dann, wenn ein Meinungsforsher an die Tür klopt. In
praktish allen internationalen Umfragen landen die Türken bei der Frage nah dem
persönlihen Glük ganz hinten. Dritletzter bei einer globalen Studie der Firma
GFK , nur Ungarn und Russen fühlten sih noh shlehter. Unglüklihstes von
siebenundzwanzig europäishen Ländern, die von der Gruppe Eurofound befragt
wurden. Letzter unter allen Mitgliedsländern bei einer Umfrage der OECD nah der
Lebenszufriedenheit (gleihzeitig weist dieselbe Studie die Türken interessanterweise
als geselligstes aller Völker aus: Ein Dritel ihrer freien Zeit, mehr als alle anderen,
verbringen sie mit Freunden und Verwandten). Die türkishen Frauen und Arbeit-
er tun sih diesen Umfragen zufolge besonders shwer mit dem Glük. Aber auh
Alewiten, Kurden, Christen und fromme Muslime häten Grund zur Klage in diesem
Land, meint der islamishe heologe Bilal Sambur: »Die Umfragen sind alarmier-
end, weil sie zeigen, dass die psyhologishe und geistige Landkarte unserer Nation
zerstört wurde. Wir haben unsere Gesundheit verloren, und mitlerweile ist unser
Zustand pathologish geworden.« Ih habe diesen Ausruf ot gehört, zuletzt von Er-
gun Özbudun, dem bekanntesten Verfassungsrehtler des Landes. Es war der Ab-
shiedssatz, den er mir vor der Tür seines Hauses hoh über dem Bosporus mitgab.
Wir haten uns lange unterhalten über den Bankrot der türkishen Verfassung, die
noh immer jene von den Putshgenerälen 1982 diktierte ist, über das Versagen der
türkishen Justiz und über die von der jungen Republik ihren Bürgern anbefohlen-
en ideologishen Sheuklappen, die jetzt, mehr als aht Jahrzehnte später, ein großer
Teil der Türken noh immer trägt. Mehr noh: stolz trägt. »Dieses Land brauht keine
Juristen«, seufzte Özbudun nun, »dieses Land brauht einen Psyhiater.« Die Leute
lahen hier niht, wenn sie so etwas sagen, es ist ihnen biterernst.
Berufene führen viele Gründe an, warum es hapert mit dem Seelenfrieden der
Türken. Die shreiende soziale Ungleihheit. Der die einfahen Leute zermürbende
Überlebenskampf. Eine Geshihte der Gewalt, die zuletzt im Bürgerkrieg zwishen
Armee und kurdisher PKK vierzigtausend Menshen das Leben gekostet hat, Ge-
walt, die auh im Alltag - in den Familien, im Militär, im Fußballstadion - Fuß ge-
fasst hat. Die Diskriminierung von Kurden, Christen, Alewiten, Frauen. Das »kata-
strophale Sexualleben« (so unser Freund Cem, Besitzer des Musikclubs »Babylon«).
Die Unterwerfung des Individuums durh ethnishe, religiöse und politishe Kollekt-
ive (so der heologe Bilal Sambur). Ein »Mangel an Liebe, Vertrauen und Toleranz«
(so Haşim Kılıç, der Oberste Rihter am Verfassungsgeriht). Auh Kılıç indet: »Un-
ser Land leidet an einer nationalen Psyhose.«
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