Travel Reference
In-Depth Information
»Lang lebe die alkoholishe Internationale!«, steht auf einem Plakat. »Für eine
beshwipste Türkei«, auf einem anderen. »Den Slogan hab ih erfunden«, sagt Stu-
dent Şafak Tanrıverdi stolz. Er erinnert sih an die Zeiten, bevor die Stadt das Lokal
übernahm: »Damals ging ih auh nie rein.« Warum denn niht? »Viel zu teuer. Wir
haben immer hier auf der Uferstraße getrunken, die Leute haben uns Landstreiher
geshimpt.« Immerhin ist das Lokal jetzt billiger, oder? »Ja, billiger Tee!« Also bleibt
er niht bloß wieder draußen vor der Tür wie früher, nein, er bleibt draußen vor der
Tür und protestiert. Ein Dutzend Polizisten bewahen den Eingang zum Lokal. »Die
sind eigentlih auh Volk«, sagt eine Kerzenträgerin. »Nihttrinkendes Volk!«, korri-
giert sie streng ihr Freund.
Die letzte Dose ist geleert, die letzte Parole gerufen. Die Menge briht auf. Auf dem
Weg hoh nah Moda öfnet ein Anwohner sein Fenster, laut ershallt die »Interna-
tionale«. Jubel. Oben am Hügel eine Büste von Atatürk, dem Vater der Republik, der
1938 wie gesagt an den Folgen des ausgiebigen Alkoholgenusses starb. Er hate den
Raki geliebt. »Erhabene Jugend!«, steht auf der Plakete, »Wir haben die Republik
gegründet. Durh Euh lebt sie fort.«
Nühtern betrahtet spiegeln die rhetorishen Shlahten um Raki und Wein mehr
die ideologishen Relexe der ineinander verbissenen Lager wider als eine tatsäh-
lihe Gefahr. Noh muss der Istanbuler weder um den Raki, noh um die Meyhane
fürhten. Ja, die muslimishen Politiker mögen den Alkohol niht, und ja, die Türken
trinken weniger Raki als früher. Letzteres aber ist niht nur den hohen Steuern, son-
dern auh dem Zeitgeist geshuldet: Wein und Bier verkaufen sih von Jahr zu Jahr
besser, der Grüne Halbmond, eine Organisation, die sih dem Kampf gegen die Alko-
holsuht widmet, hat Statistiken veröfentliht, wonah der Alkoholkonsum insges-
amt seit der Jahrtausendwende stark angestiegen ist. Andere Studien bestätigen den
Trend: In der Türkei wird von Jahr zu Jahr mehr Alkohol getrunken, Regierung hin
oder her. Der Beriht des Grünen Halbmonds shlüsselt die türkishen Trinker gar
nah politisher Überzeugung auf - und maht die größten Säufer unter den Sozi-
alisten aus, angeblih ist jeder zehnte Linke dem Alkohol verfallen. Aufshlussreih
auh die Analyse nah Berufen. »Ein sehr inniges Verhältnis zum Alkohol haben
die Sänger«, heißt es. Der Beriht hebt insbesondere die Interpreten des Arabesk
als warnendes Beispiel hervor: jene Sänger, die westlihen Shmalz unter orientalis-
hen Weltshmerz rühren. Kein Wunder: Nirgends sind die Herzen gebrohener, nir-
gends ist die Liebe größeres Leid als in ihren Liedern. Der Kurde Ibrahim Tatlıses,
ein Pionier des Arabesk, steht in seinen Videoclips gerne verlassen am Tresen und
Search WWH ::




Custom Search