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mein Freund Sinan ist niht der Einzige, der abends ins Kino wollte, nur um festzus-
tellen, dass ihm ein Rudel zähneletshender Hunde vor der Haustüre aulauerte. Die
Meute jagte ihn zurük in die Wohnung und hielt ihn dort fest, bis der Morgen an-
brah. So etwas geshieht vor allem in Gegenden wie den unseren, wo es noh Grün-
lähen und Waldstüke gibt, in die sih die Hunde zurükziehen können. Fast ist es
wie zu Zeiten des Bürgerkriegs in vielen Gebieten im kurdishen Südosten: Tagsüber
herrsht trügerishe Normalität, gehören die Straßen den Türken, des Nahts aber
übernehmen die Rebellen, und die Menshen verriegeln ihre Türen.
Die hundertausend Straßenhunde von Istanbul haben viele Freunde, aber viel-
leiht haben sie noh mehr Feinde: Hunger, Durst, Furht, Zeken, Flöhe, Würmer,
Kälte, Regen, Krankheiten, boshate Kinder und noh boshatere Gemeindebürger-
meister. Oiziell sind die Gemeinden angehalten, die Tiere einzusammeln, zu steril-
isieren und gegen Tollwut zu impfen. Mehrfah aber wurden in den letzten Jahren
Behörden dabei erwisht, die die Hunde in Wäldern am Stadtrand aussetzten, sie
dort verhungern oder vergiten ließen. Ein solhes Vorgehen der Obrigkeit hat Tra-
dition. Mehr als nur ein Sultan hate versuht, die Hunde ins Exil zu shiken. Sultan
Mahmut II . - er regierte 1808 - 1839 - soll der Erste gewesen sein, der eine solhe
Order erteilte. Aber erst Sultan Abdülaziz ( 1861 - 1876 ) sorgte dafür, dass seinem Be-
fehl auh Folge geleistet wurde: Alle Hunde wurden auf die Insel Hayırsız gebraht,
die »Insel der Nihtsnutze«, eine der unbewohnten Prinzeninseln. Am Tag darauf
brah ein großer Brand in der Stadt aus. Das Volk begann zu tusheln: Got hat uns
bestrat, weil wir die Hunde weggeshat haben. Der Sultan ließ sie wieder zurük-
bringen. Nah ihrer Revolution von 1908 dann erinnerten sih die Jungtürken wieder
der einsamen Felsen im Marmarameer und gingen ein weiteres Mal daran, die Stadt
von den Hunden zu befreien. Ein Chronist erinnert sih: »Mehrere Nähte lang kon-
nte man ein shreklihes Heulen über das Marmarameer hinweg hören - noh fün-
fzig Jahre später erinnerten sih alte Männer daran. Dann ielen die Überlebenden
übereinander her und zerrissen einander. Einige Monate lang shlief Konstantinopel
fest und ruhig. Dann hörte man hier und da ein Jaulen, junge Hunde tauhten wieder
auf - die Nahfahren von übersehenen Straßenhunden in den Vororten. 1913 waren
die Hunde zurük in den Straßen. All jene Türken, die die Missgeshike des Reihes
auf die Verbannung der Hunde zurükgeführt hatten, waren erleihtert.«
»In Istanbul leben hundertausend Straßenhunde? Na und?«, fragt Deniz Izgi, der
Hundefreund aus dem Wald. »In Istanbul leben mehr Leute aus Sivas als in Sivas
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