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siehe da: dreizehn, vierzehn, fünfzehn, siebzehn Millionen leben hier, so genau weiß
das keiner. Eine der ältesten Städte der Erde. Eine der jüngsten Städte der Erde. Die
größte Metropole Europas. Das größte Dorf Europas.
Oder muss das jetzt heißen: Asiens?
Man sagt ja gerne, Moskau sei niht Russland, Peking sei niht China und New
York sei niht Amerika. Und das stimmt. Mit Istanbul aber ist das anders. Istanbul
ist die Türkei. Istanbul ist eine Miniatur des Landes. Fast jeder vierte Türke wohnt
hier. Praktish jede türkishe Stadt und jedes anatolishe Dorf hat eine Filiale in
Istanbul. Es wohnen hier mehr Sivaser als in Sivas, mehr Giresuner als in Giresun,
mehr Ardahaner als in Ardahan, und die größte kurdishe Stadt des Landes ist Istan-
bul sowieso. Ot prägen die einzelnen Landsmannshaten ganze Stadtviertel. Bei
uns hinterm Berg haben sih die Zuwanderer aus Samsun niedergelassen, in ihrem
»Samsun-Vereinslokal« trefen sih die Männer, trinken Tee, holen Rat. Die Leute
aus Mardin indet man im Altstadtviertel Fatih, die aus Sivas in Gaziosmanpaşa.
Sie alle sind erst im letzten halben Jahrhundert hierhergekommen. Und sie kommen
noh immer. Stadteile wie das einst griehish-armenishe Kleinbürgerviertel Tar-
labaşı, vom shiken Beyoğlu nur durh eine Straße getrennt, sind heute Aufang-
beken für immer neue Wellen betelarmer Zuwanderer aus dem Südosten. Und
manhmal bringen die auh ihre Shafe mit und lassen sie auf den Straßen grasen.
Wer möhte ihnen die Fluht aus der Heimat verdenken? Wenn das Geld und die
Fabriken niht nah Anatolien kommen, wandert Anatolien halt zu den Fabriken.
Oiziell leben in Istanbul heute zwölfeinhalb Millionen Menshen. Jeder weiß, dass
es in Wirklihkeit viel mehr sind - aber selbst von den amtlih Registrierten ist niht
einmal jeder Zweite in Istanbul geboren.
Und dann wieder ist Istanbul diesem Land weit voraus. Mehr als die Hälte aller
türkishen Exporte werden heute im Großraum Istanbul hergestellt. Auf einer Liste
der Beraterirma PricewaterhouseCoopers hängt die Wirtshat der Stadt von hun-
dertsiebenundzwanzig Staaten weltweit ab, darunter Bulgarien und Litauen. Istanbul
ist also niht nur der Spiegel des Landes. Die Stadt ist auh seine Lokomotive. Sie
zieht die Wirtshat nah vorne, mit einem Tempo, bei dem Europa shwindlig wird.
Und sie shleppt das Volk in die Moderne. Istanbul verwandelt. Die ihm Anver-
trauten. Sih selbst. Die Zahlen sind beeindrukend; gesund ist die Konzentration auf
diesen Ort niht. Das Land ist aus der Balance. »Der Wohlstand hier hat einen Pre-
is«, sagt Cengiz Aktar von der Wirtshats- und Verwaltungsfakultät der Bahçeşehir-
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