Travel Reference
In-Depth Information
Dornröschens Irritationen
Český Krumlov war eine Oase der Unberührtheit, jetzt lebt es in der Premiumklasse des Kulturtourismus
Einmal, nur ein einziges Mal möchte man durch eine dieser wunderbaren Städte laufen und
sich sagen: Ja, alles stimmt. Alles ist hier fachmännisch restauriert, alles wird behutsam genutzt.
Keine schrille Farbe, keine aufgeblasene Reklame stört die Harmonie. Die Schilder der Lokale
undGeschäftesindsodezentgehalten,dassdieAuthentizitätderhistorischenGebäudesichnicht
gleich als Potemkinsche Fassade eines gnadenlosen kommerziellen Rummels entlarvt. Und dann
läuftmandurchRothenburgoderCarcassonne,durchSanGimignanoundQuedlinburgundfühlt
sichtrotzallderSchönheitundEchtheitineinerseltsamverzerrtenWelt.Schondienachgemachte
Rustikalität der ersten Kneipe und die Aufdringlichkeit des ersten Sonnenbrillen-Drehgestells
warnt: Vorsicht, Fremder, hier will man nur dein Geld!
In Krumau ist es ähnlich - und anders. Krumau wurde einst »die Perle des Böhmerwalds«
genanntundzähltmitseinermehrfachvonderMoldauumlossenenAltstadtundseinermajestät-
isch auf einer Felsnase gelagerten Burg sicher zum Schönsten, was Menschen je erbaut haben.
Drum hat es niemanden gewundert, dass dieses Städtchen bei Budweis im Süden Tschechiens
1992 von der UNESCO auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt wurde. Raketengleich wurde es
damit in die Premiumklasse des Kulturtourismus befördert. Die Besucher standen Schlange, die
Investorenebenso.Undheute,mehralszweiJahrzehntenachdemKollapsdesKommunismus,ist
zusehen,wieeinsolcherAufbrucheineStadtverwandelnkann.DornröschenschliefunterStaub
und Schmutz, jetzt ist es erwacht und schaut irritiert.
FürdieBedeutung,dieeinEnsemblewieKrumaugeradeheute,inderZeitdervirtuellenFant-
astereien,habenkann,hatIvanSlavík,HistorikeramRegionalmuseum,dieschöneFormelgefun-
den: »Hier begegnet man der Hardware der Geschichte.« All die Plastergassen, die Türme, die
Winkel, die Luken, die sorgsam renovierten Putzstrukturen oder Treppen - sie sind der anfass-
bare Beleg dafür, wie anders frühere Geschlechter gebaut, gedacht, gelebt haben. Schon seit der
Steinzeit war die krumme Au an der Moldau bewohnt. Im Mittelalter errichtete das Geschlecht
der Witigonen die erste Burg, 1253 ist sie erwähnt. Auf Tschechisch hieß der Ort schon damals
Krumlov, später Český Krumlov (Böhmisch Krumau). Am 2. September 1309 wurde er urkund-
lich erstmals als Stadt verzeichnet.
Seit dem Mittelalter ließen sich hier deutschsprachige Zuwanderer nieder, als Berg- und Kau-
leutevondenörtlichenRegentengerufen.DieseHerrscherwarennachdenWitigonendieAdels-
familien Rosenberg und Eggenberg, 1717 übernahmen im Erbgang die Schwarzenbergs, die bis
zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Burg bewohnten. Ab 1945 gehörten vier Fünftel der Ein-
wohner von Krumau zu jenen drei Millionen Deutsch-Böhmen, auch Sudetendeutsche genannt,
dieausderTschechoslowakeivertriebenwurden.DeutscheBücherbliebeninMassenzurück.Als
Search WWH ::




Custom Search