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Blick zurück nach vorn
Tschechische Schüler erforschen das Unrecht, das ab 1945 den Vertriebenen widerfahren ist
Es ist immer wieder dieser Überraschungseffekt, den der Lehrer Zdeněk Zákutný festgestellt hat,
auchbeisichselber.»Ichhabemichgefragt:Warumweißichnichtsdavon?«WarumzumBeispiel
wussteeralsHistorikerbisvoreinigerZeitnichtsNäheresüberdieseSacheimnahenPostoloprty,
dasdiedeutschenBewohnerfrüherPostelbergnannten?AuchdereineoderandereseinerSchüler
aus der Klasse 6A des Gymnasiums in Louny kam ins Grübeln darüber, dass nicht weit entfernt
vondort,wosiewohnenoderregelmäßigvorbeilaufen,damalsdieseschrecklichenDingepassiert
sind. In Postoloprty zum Beispiel, in der Kaserne, bei der Schule, in der Fasanerie. Überhaupt:
dassmandachte,dieseDeutschenseiendamalsmitdenNazisinsLandgekommenundnachdem
ZusammenbruchdesVerbrecher-Regimesdannwiederhinausgeworfenworden.Dabeiwarensie
doch seit Jahrhunderten da gewesen.
Es ist keine normale Schulstunde, die die Klasse 6A an diesem Juni-Nachmittag im
nordtschechischen Louny absolviert. Der Lehrer Zdeněk Zákutný sitzt bei seinen Schülern in
der Bank, vorn an der Tafel steht heute der Sozialwissenschaftler Ondřej Matějka, der aus Prag
hergekommen ist. Behutsam fragt er, welches denn bisher die Erfahrungen seien mit diesem Pro-
jekt, das sich mit »tragischen Orten der Erinnerung« befasst und das in Tschechien für eine neue
Phase der Auseinandersetzung mit der Nachkriegsgeschichte steht. Erstmals sind Gymnasiasten
in Louny sowie in den benachbarten Städten Kadaň, Chomutov und Ústí nad Labem dabei, die
Verfolgung, Enteignung und Vertreibung jener Deutschen zu untersuchen, die bis 1945 als Nach-
barn in ihren Städten lebten und die man meist Sudetendeutsche nennt.
Die genannten Städte hatten damals auch deutsche Namen: Laun, Kaaden, Komotau und
Aussig. Und sehr viele ihrer Einwohner waren Nachfahren jener Deutschen, die seit dem hohen
Mittelalter, vor allem im 18. Jahrhundert, auf Einladung der Regenten ins Königreich Böhmen
zugewandert waren. Das Zusammenleben war nicht konliktfrei, und im Zweiten Weltkrieg kam
es an sein Ende. Nach dem Münchner Abkommen von 1938 und dem Einmarsch deutscher
Truppen errichteten die Nazis ihr Terror-Regime auch in der aufgelösten Tschechoslowakei, die
Tschechen sollten durch Assimilation, Zuchtwahl, Sterilisation, Vertreibung oder Ermordung
als Volk ausgelöscht, ihr Lebensraum germanisiert werden. Darauf folgte nach Kriegsende eine
blutige Revanche: die Vertreibung der drei Millionen Deutschen.
Ein schwieriger Stoff für den Geschichts- und Sozialkundeunterricht. Bisher wurde dieser
ZeitabschnittintschechischenSchulenmeistnurunterdemAspektderdeutschenGräueltatenbe-
handelt.WasdanachmitdenDeutschenpassierte,warunterdemkommunistischenRegimetabu,
und bis heute halten Parlament und Regierung in Prag an jenen Dekreten des Präsidenten Ed-
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