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den Lokatoren, Tausende Bauern, Handwerker, Berg- und Kauleute an. Man versprach ihnen
Privilegien, und sie kamen aus Bayern, Franken, Sachsen, Thüringen und Österreich. Dass zwis-
chen den keineswegs integrationswilligen Zuwanderern und den ansässigen Tschechen soziale,
später auch politische und nationale Spannungen aufkamen, wurde prägend für das Mit-, Für-,
Neben- und Gegeneinander, das 1945 im Ohneeinander endete.
Jetzt,zweiGenerationenspäter,wirdderAvantgardedestschechischenKulturlebensoffenbar
bewusst, dass da eine Lücke ist. Jahrhunderte gemeinsam gelebter Geschichte sind nicht mehr
lebendig und präsent, und in diesen Jahrhunderten hat es nicht nur Streit, sondern auch frucht-
bare Zusammenarbeit gegeben. In Ústí nad Labem (Aussig), das einmal eine deutschsprachige
Bevölkerungsmehrheit hatte, wird seit Jahren ein »Museum der deutschsprachigen Bürger der
böhmischen Länder« entwickelt. Es ist die erste Einrichtung dieser Art im Land, nach so vielen
Jahren der Konfrontation eine kleine historische Sensation. Die Trägergesellschaft ist das Collegi-
um Bohemicum, dessen Direktorin Blanka Mouralová im Jahr 2010 zusammen mit dem tschech-
ischen Kulturminister Jiří Besser das fertige Museumskonzept vorstellte.
Und siehe da, es bricht sich eine völlig neue Betrachtung Bahn, die jenseits aller Stereotypen
den Fakten Raum gibt und überraschende Akzente setzt. Für den Gang durch die Geschichte
wurde ein sehr eigenwilliger Parcours gewählt, der natürlich weit hinter den Ersten Weltkrieg
zurückgreift.UndübrigensistimMuseumsprospekt,derdieGliederungderAusstellungdarlegt,
an keiner Stelle von den Sudetendeutschen die Rede. Sondern von »unseren Deutschen«.
Istauchbesserso.DennsogehörenauchdiedeutschsprachigenBrünnerundPragerdazu,die
den Sudetendeutschen nicht zugerechnet werden. Und die haben ja doch bedeutende Kulturleis-
tungen beigesteuert. Zum Beispiel die Werke von Franz Werfel, Rainer Maria Rilke, Egon Erwin
Kisch oder Franz Kafka.
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