Travel Reference
In-Depth Information
Tschechische Städte, böhmische Dörfer
Ein Vorwort
Tschechien ist ein Land, das sich dem Fremden nicht auf den ersten Blick erschließt. Gewiss er-
scheintdenNachbarnausÖsterreichundDeutschlandvielesvertraut,wennsiedieGrenzeüber-
schreiten. Die sanften Hügel, die weiten Talauen, die rauschenden Wälder, die Blasmusik und
die herrlichen historischen Marktplätze der Städte haben viel gemeinsam mit dem, was man aus
Bayern oder Niederösterreich kennt. Erst recht lehrt dies der Besuch im Gasthaus. Man labt sich
hier wie dort an Gesottenem und Geselchtem, an Eisbein, Knödel, Kraut und Bier. Man ist zum
Scherzen aufgelegt und dickschädelig.
Jedoch das erste Ortsschild, die erste Zeitung, der erste mitgehörte Dialog unter Tschechen
signalisieren Fremdheit: die tschechische Sprache. Sie ist genial, aber schwierig. Wer sich als
UnkundigeralleinaufTschechischdurchfragenmüsste,kämenichtweit.ZumGlückgibtesviele
Tschechen, die gut Deutsch können, unter den Jüngeren auch viele, die Englisch sprechen. We-
shalb es kein Problem ist, genüsslich durch das Land zu reisen, auch wenn man seine Sprache
nicht beherrscht.
Ich selber bin zum ersten Mal im Frühjahr 1990 hingefahren, aus Dresden kommend. Gerade
hattederZusammenbruchdesKommunismusdieZeitenwendeeingeleitet,geradehattealsneuer
Hoffnungsträger der Schriftsteller Václav Havel auf der Prager Burg am Schreibtisch des Staat-
spräsidenten Platz genommen. Als Westdeutsche hatten wir nur vage Vorstellungen vom Land.
Die Berichte über horrende Umweltschädigungen durch die Staatsindustrie fanden wir gleich in
den ersten Stunden bei der Fahrt durch Teplice (Teplitz) und Ústí nad Labem (Aussig) bestätigt.
Es regnete in Strömen, und mit dem Regen kam schwerer schwarzer Staub herunter, den der
Scheibenwischer nur mit Mühe bewältigte.
Prag war schon damals von Touristen überlaufen. Deshalb erkundeten wir die historische
Altstadt nicht am hellen Tag, sondern in der ersten Morgenfrühe und waren überwältigt vom
Reichtum an historischen Bauten, an stillen Winkeln und versteckten Stiegen. In vielen Gassen
standen Gerüste vor den Häusern, offenkundig schon so lange, dass sich Planzen darauf an-
gesiedelthatten,ohnedassdiegeplanteSanierungjeinAngriffgenommenwordenwäre.Wenig-
stens war das einmalige Kulturerbe nicht zerstört.
Schon damals war mir klar: Wer dieses Land und seine Bewohner verstehen will, muss sich
besonderstiefinseineKulturundGeschichteknien.Entsprechendintensivbereiteteichmichvor,
als ich 2005 als Zeitungskorrespondent nach Prag übersiedelte, um von dort über Mittel- und Sü-
dosteuropa zu berichten. Rasch wurde mir bewusst, dass die gängigen Klischees vor allem de-
shalb so wirkmächtig sind, weil der eigentliche Zugang zum Land eben mit Anstrengungen ver-
bunden ist.
Search WWH ::




Custom Search