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nationalen Sammlungsbewegung den Namen »Sudetendeutsche Heimatfront«. Aus ihr entstand
die »Sudetendeutsche Partei«, die erdrutschartige Wahlerfolge erzielte und spätestens ab 1937
mitdenNazisinBerlinkonspirierte.Diesesprachenihrerseitsvonder»Sudeten-Frage«undpro-
vozierten die »Sudeten-Krise«. Dem Münchner Abkommen von 1938 und der Zerschlagung der
Tschechoslowakei folgten der Einmarsch »ins Sudetenland« und der Anschluss des neu gebilde-
ten »Reichsgaus Sudetenland« an Nazideutschland.
WeralsoheutenochvomSudetenlandspricht,benutzteinenvergiftetenBegriffauseinerver-
gifteten Zeit. Es ist die Zeit, in der die Nazis auch von der »Rest-Tschechei« sprachen und dort
ein »Protektorat Böhmen und Mähren« errichteten. Dies ist der Grund, warum nach 1993, als
die Tschechoslowakei sich teilte, im deutschen Sprachgebrauch der Ausdruck Tschechei für den
neuen Staat politisch unerwünscht war und durch Tschechien ersetzt wurde.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum viele Linke, Juden oder Intellektuelle, die als
Deutschsprachige im heutigen Tschechien geboren wurden, sich nicht als Sudetendeutsche, son-
dern lieber als Deutsch-Böhmen bezeichnen, so wie man es im 19. Jahrhundert tat. Und viele
Tschechengruseltes,wennsievomSudetenlandredenhören.EswecktErinnerungenandieZeit,
in der Adolf Hitler »die Verdeutschung des Raumes« plante und sein Statthalter Reinhard Hey-
drich meinte: »Der Tscheche hat in diesem Raum letzten Endes nichts verloren.« In zynischer
Weise verkehrte sich der zynische Satz 1945 durch die Vertreibung der Deutschen in sein Gegen-
teil.
Wie also heute von den Sudetendeutschen reden? Die meisten der Vertriebenen haben keine
ScheuvordemWort,auchihregrößteOrganisationnicht,dieSudetendeutscheLandsmannschaft,
derfreilichfrühervorgeworfenwurde,sichallzusehrnochimGeleiseKonradHenleinszubewe-
gen. Peter Becher, der Geschäftsführer des Adalbert-Stifter-Vereins, ein Sozialdemokrat, plädiert
imvollenWissenumdieBedeutungsgeschichtedesBegriffsdennochfürseineVerwendung.Weil
er sich nun einmal pragmatisch eingebürgert habe, könne man ihn heute »auch halbwegs ohne
größeres Bauchweh« gebrauchen.
Auch Tschechen setzen sich mit dieser Frage auseinander. Die Schriftstellerin Alena Wagn-
erová schrieb von den »deutschen Tschechoslowaken«. Auf dieser Linie weiterdenkend, könnte
man auch von Tschechodeutschen oder Deutsch-Tschechen reden, so wie man von Deutschsch-
weizern spricht, die Schweizerdeutsch parlieren - im Bewusstsein dessen, dass hier keine staat-
liche oder »völkische«, sondern nur eine sprachliche Gemeinschaft mit Deutschland gemeint ist.
SowiedieEidgenossenschaftbis1648zumHeiligenRömischenReich(deutscherNation)gehörte,
warbiszudessenunrühmlichemEnde1806jaauchdasKönigreichBöhmeneinTeildiesesStaats-
gebildes,dasschoneinekleineEuropäischeUniondarstellte.EbensowieÖsterreichoderLuxem-
burg.
Abgesehen davon, dass damals dynastische und nicht nationale Fragen die Vermischung der
Völkerlenkten,wardieAnwesenheiteinesdeutschsprachigenBevölkerungsteilsinBöhmennicht
Ergebnis einer Invasion, sondern einer gewollten, erbetenen Migration. Als im hohen Mittelal-
ter in ganz Europa beim sogenannten Landesausbau Wälder gerodet, unbesiedelte Gebiete er-
schlossen, Ödland kultiviert und neue Städte angelegt wurden, warben die Herrscher Böhmens,
zum Beispiel der machtvolle König Přemysl Otakar II., mit Hilfe von Ansiedlungsunternehmern,
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