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jüngerer Zeit. Im Krisenjahr 2009 ging die Zahl auf zweihundertzehntausend zurück, 2010 stieg
sie wieder auf zweihundertsiebzehntausend.
Nur zum kleinen Teil haben die Besucher Lust, nach den Gedenkstätten auch die Stadt zu be-
sichtigen oder gar in ihr zu übernachten. Es gibt auch wenig, was dazu verlockt. Gastronomie
und Hotellerie werden - mit Ausnahmen - den Ansprüchen eines internationalen Publikums
kaum gerecht, und das rund zweitausend Einwohner zählende Städtchen selber wirkt seltsam
unbelebt. Im Karree der Straßen stehen neben restaurierten Gebäuden auch andere, von denen
der Putz abbricht. Manches Haus steht leer, andere sind offenkundig nur im Oberstock bewohnt,
FernsehkabelziehensichquerüberdieFassadezurAntennehin.HiersindherrlicheStuckaturen,
DachlukenoderHolzportalezubewundern,dortgebenVerfärbungenderWändeundSchlaglöch-
er auf der Straße Signale des Verfalls und der Verwahrlosung. »Theresienstadt ist wirklich eine
traurige Stadt«, sagt die Hoteliersfrau Libuše Šáchova. »Die Touristen kommen einmal her und
dann nie wieder.«
»Wir brauchen mehr Leute hier, vor allem junge Leute«, meint Vladimíra Tvrdíková, die In-
haberin eines Textilgeschäfts am großen Platz. »Das ist eine tote Stadt«, plichtet ihr der Rentner
Luboš Kracík bei. »Ich meine das nicht abwertend, aber hier leben entweder Rentner oder Leute
mitsozialenSchwierigkeiten.«EsfehlenhingegenArbeitsplätzeundWohnungenfürjungeLeute.
InTheresienstadt,dasvondenTschechenTerezíngenanntwird,gibtesvielefreieParkplätze,und
das ist heutzutage kein gutes Zeichen.
Dabei ist das Potenzial der Stadt gewaltig, denn die Gesamtanlage ist ein architektonisches
Juwel. Der Habsburger Herrscher Joseph II. hat sie als König von Böhmen 1780 erbaut, um hier
zum Schutz gegen Preußen eine Garnison zu stationieren. Er ließ Bastionen, Gräben, Arsenale,
Spitäler, Magazine, Kasernen und Wohnungen errichten und benannte die kleine Siedlung nach
seiner Mutter Maria Theresia. Zwei Jahrhunderte lang war die Stadt, auf fünfzehntausend Be-
wohner ausgelegt, erfüllt vom Treiben der Soldaten und ihrer Familienangehörigen, zeitweise
wurde hier mehr geboten als im benachbarten Litoměřice (Leitmeritz) oder in der Bezirk-
shauptstadt Ústí nad Labem (Aussig).
Bis 1996. Dann löste die tschechische Armee aus Kostengründen den Standort Terezín auf,
und »das war für uns eine sehr große Wunde«, wie die Bürgermeisterin sagt. »Wir konnten uns
nichtvorstellen,dassTerezíneineStadtohneArmeeseinsollte,aberwirhabenvergeblichgekäm-
pft.« Das Militär zog ab und hinterließ der Bürgermeisterin seine Gebäude, »zwar umsonst, aber
in einem schrecklichen Zustand«, wie Růžena Čechová sagt. Eine »zweite schmerzliche Wunde«
wurde der Stadt im Jahr 2002 durch ein epochales Hochwasser zugefügt, dem auch die Festung-
swerkenichtstandhielten.DurchdieunterirdischenGängedrücktensichdieFlutenhoch,sodass
sie bei der Post wie Geysire aus der Erde schossen. Anderthalb Meter hoch stand das Wasser auf
dem großen Platz, in den Geschäften zeigt man heute noch gerne die Markierung.
DieSchädenwarenimmens,diePragerRegierunghalfbeiihrerÜberwindung,dochdenAuf-
bruch in eine neue Zukunft hat dieser Rückschlag nicht erleichtert. So wenig wie die hochlie-
gendePlanungdeskonservativenBürgermeistersJanHorníček,der2002dielangjährigeAmtsin-
haberinRůženaČechováablöste,2007aberwegeninanziellerAbenteuerabgesetztwurde,sodass
die parteilose Čechová das Ruder erneut übernehmen musste. Horníček wollte Universitätsinsti-
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