Travel Reference
In-Depth Information
die Täter womöglich »auf Bestellung« irgendwelcher verschrobener Philatelisten gehandelt und
aus den verschiedensten Kartons, in denen die Dokumente aufbewahrt werden, gezielt bestim-
mte Einzelstücke herausgeischt haben. Hundertdreizehn der tausenddreizehn Briefe sind in den
vergangenen Jahren in Brünn, Wien und Bamberg auf Auktionen aufgetaucht, dadurch kam man
dem Diebstahl überhaupt auf die Spur. Das exakte Ausmaß des Verlusts stand erst nach einer
zehnjährigen internen Revision fest, während der der Zugang zu den Urkunden allen Außen-
stehenden verwehrt war. Dem Handelswert nach geht es um einen Schaden von mehreren Mil-
lionen Euro.
Noch weit höhere Summen stehen im Fall der Kirchendiebstähle in Rede. Niemand kann die
Verluste exakt beziffern, denn vielfach herrscht gar kein genauer Überblick darüber, was alles
nochausaltenZeiteninwelchemDorfkapellchenverwahrtwurdeundwelchenWerteineeinzel-
ne Schnitzerei oder eine einzelne Schale gehabt haben könnte. Im Königreich Böhmen war nach
dem Dreißigjährigen Krieg, der für die Protestanten gleich im dritten Jahr bei der Schlacht am
Weißen Berge eine grausame Niederlage brachte, mit großem Nachdruck die katholische Gegen-
reformationvorangetriebenworden.UnteranderemgingdamitdieStiftungundüppigeAusstat-
tung vieler Kirchen durch gnadenlos wohlmeinende katholische Adlige einher. Böhmen wurde
eine Hauptlandschaft des europäischen Barock. Zudem war der deutschsprachige Bevölkerung-
steil in seinen Siedlungsgebieten auch später auf ansehnliche Kultstätten bedacht.
Nach der Nazizeit, der Vertreibung der Sudetendeutschen und schließlich der Machtüber-
nahme der Kommunisten im Jahre 1948 indes wurden alle Religionen unterdrückt, die Priester
schikaniert und inhaftiert, die Kirchen geschlossen. Viele Baudenkmäler, nicht nur religiöse,
sondern beispielsweise auch zahlreiche Burgen im Land, verielen und verdämmerten, doch
Diebstähle kamen nach Darstellung von Experten kaum vor. Erst als 1989 die Diktatur der
Parteibonzen zusammenbrach, die Bürger neue Freiheiten erhielten und das Land sich auch dem
Westen öffnete, gerieten die beweglichen Kulturdenkmäler in Gefahr.
Wieinderfrüheren DDR oderPolen,soschwärmtenauchinTschechiengleichnachderWende
niederländische, deutsche und österreichische Antiquitätenhändler aus bis in die tiefste Provinz.
In der Verwirrung des Umschwungs wurden Möbel, Gemälde oder Statuen den bisherigen Bes-
itzern zu Schleuderpreisen abgeschwatzt. Ganz zu schweigen von dem, was professionelle Diebe
systematisch in kaum gesicherten Gebäuden plünderten.
InkeinemanderenLandgibtesnachMeinungderPragerZeitung Lidovénoviny eineParallele
fürdas,wasdamalsinTschechiengeschah.DieZahlderArtefakte,diealleinausKirchenentwen-
det wurden, wird auf mehr als eine Million geschätzt. Dies übertrifft sogar die Schäden, die im
DreißigjährigenKriegentstanden,wiederPragerDiözesankonservatorVáclavKelnarmeint.Ihm
fälltzumVergleichnurdiePeriodederHussiten-Kriegezwischen1419und1439ein,indenenfan-
atisierte Bilderstürmer wüteten. Auch in den vergangenen Jahren wurden manche Gotteshäuser
bis zu zwanzig Mal von Dieben heimgesucht.
Im südböhmischen Wallfahrtsort Římov (Rimau) bei Budweis zum Beispiel stahlen sie aus
denKapellcheneinessechsKilometerlangenbarockenKreuzwegsschonzwanzigvonsechsund-
sechzig hölzernen und steinernen Skulpturen. Auch Gitter halfen dagegen nicht, sie wurden
herausgerissen. Jetzt hat man die Originale ins Depot gebracht, in den Kapellen will man Kopien
Search WWH ::




Custom Search