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neue Siedler kamen Tschechen und Slowaken - und viele Roma. Diese lebten in der Altstadt und
bevölkerten den großen Platz in der Mitte, als nach der Wende von 1989 die ersten Besucher aus
dem Westen vorbeischauten.
Český Krumlov war in jener Zwischenzeit, als das Land unter kommunistischer Diktatur lag,
ein vergessenes Provinznest, geprägt durch die Landwirtschaft. »Hier war eine Oase der Ruhe«,
sagtdieAutorinHelenaBraunová,die1964alsjungeFrauhierherkamundsichanfangsängstigte
über die fremdartigen Töne und Schritte, die sie in den Häusern und Gassen hörte. Ihr Mann,
den sie hier kennenlernte, war einer der wenigen verbliebenen Deutschen, der Sohn des letzten
Schlossverwalters. Mit den Roma war es ein ungezwungenes Zusammenleben, »das war nett«,
sagt Helena Braunová, »hier gab es nie Probleme.«
DieHäuserverielen,undals1982derjungeHistorikerSlavíkherzog»ansfaktischeEndeder
Welt«, empfand er Krumau als »eine absolut tolle Station für Aussteiger«. Kein Krieg und kein
großerBrandhattenhierjegewütet;nichteinmaldieKommunistenhattenwieanderswofürein-
enprogressivenBetonklotzalteBausubstanzzerstört.»ImhalbwegsZerfallenenspürtemanwirk-
lich überreich und authentisch die Geschichte«, sagt Ivan Slavík. Er gehört nicht zu den Jublern,
zu manchem äußert er sich kritisch. Aber diese einmalige Authentizität sieht er auch heute ge-
wahrt. Man inde im Zentrum kein falsches Plastikfenster, sagt er, die Handwerker hätten alte
Technikenangewandt,»imAllgemeinenbinichmitdemdenkmalplegerischenStatuszufrieden«.
DabeihatdieStadteinenUmbrucherlebt,deransInnersteging.MitAusnahmeeinigerRand-
lagen wurden alle jene rund dreihundertfünfzig Häuser, die in Krumau unter Denkmalschutz
stehen, aufwendig saniert. Nur wenige dienen noch dem gleichen Zweck wie früher. Die Bilder,
die vor einiger Zeit ein junger Mann auf einem rikscha-ähnlichen Fahrrad mit Kamera-Aufbau
für die große Google-Streetview-Show aufnahm, zeigen vor allem eines: Geschäfte, Geschäfte,
Geschäfte. Und: Hotels, Pensionen, Gaststätten, Restaurants. Krumaus einmalige Bausubstanz
bekamKonkurrenzdurchdieMonotoniederBanalitäten,diederMassentourismuszuverbreiten
plegt.
Nichts ist, wie es war. Vor der Wende lebten im historischen Kerngebiet der Stadt, die mit
ihren modernen Trabantensiedlungen knapp vierzehntausend Einwohner zählt, noch rund dreit-
ausendsechshundert Menschen. Es gab sechs Lokale und wenige Hotels, für die Teilnehmer an
Schul- und Betriebsauslügen brauchte man keine komplexe Infrastruktur vorzuhalten. Heute
hat Krumau nach Auskunft aus dem Rathaus allein im Zentrum hundert Hotels und ebenso
viele Restaurants. Mehr als eine Million Touristen aus aller Welt, zur Hälfte Tschechen, schauen
im Jahr vorbei, und rund dreitausenddreihundert Arbeitsplätze sind dadurch entstanden. Aber
dort, wo die Besucher durch die Gassen streifen, auf Terrassen sitzen und vor Kirchen stehen,
wohnen heute statt dreitausendsechshundert nur noch vierhundert Menschen. »Im Jahr 1995 ist
ganz Český Krumlov umgezogen«, sagt Helena Braunová, die Schriftstellerin. Sie ist als eine der
vierhundert im Kerngebiet geblieben, andere verfügten sich in die Plattenbauten der Außenvier-
tel, die aus der Zeit vor 1989 stammen und vom Zentrum aus kaum zu sehen sind.
Das historische Krumau aber wechselte die Besitzer. Investoren aus Prag oder Österreich
erwarben die alten Häuser, die vorher meist als öffentliches Eigentum vom Bezirksamt für
Wohnungswirtschaft verwaltet wurden. Der Österreicher Martin Mendlik war als »Mann der er-
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