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Vendetta
und Banditen
wenngleich die Vendetta seit den 1960er
Jahren offiziell nicht mehr vorkommt.
Die Neigung, schnell beleidigt zu sein,
und ein übersteigerter Ehrbegriff waren oft
Auslöser für einen Mord. Ein Mann brauch-
te nur aus Versehen bei der Wildschwein-
jagd das wilde Hausschwein seines Nach-
barn erschießen und schon hatte er sein ei-
genes Todesurteil und das vieler Familien-
angehörigen gefällt. Er wurde aber nicht so-
fort umgebracht, denn zur Vendetta gehör-
te das Spiel mit dem Leben des zukünftigen
Opfers. Seine Familie wurde von der Fami-
lie, die die Ehrverletzung rächen musste,
psychologisch terrorisiert, unter Umstän-
den jahrelang. Irgendwann schlug dann
das Oberhaupt der geschädigten Familie
oder einer seiner Söhne zu und ermordete
den Hausschweinschützen. Der Kreislauf
der Vendetta hatte begonnen.
Dem Mörder in einer derartigen Vendet-
ta-Kette blieb meist nichts anderes übrig,
als in die Macchia zu fliehen. Dort war er
vor Strafverfolgung (soweit diese über-
haupt vorhanden war) weitgehend sicher,
nicht aber vor den Jägern der anderen Fa-
milie, die nun am Zug war, die Familien-
ehre zu retten und den Mord zu rächen.
Dies konnte nur durch die Ermordung des
Mörders oder eines nahen Verwandten
geschehen.
In die Macchia geflohene Mörder wur-
den zu Banditen. Sie wurden oft von Hir-
ten aus der Gegend und von Familienan-
gehörigen versorgt, schlichen sich manch-
mal nachts in ein Dorf oder überfielen die
Besitzungen Reicher. Die Bezeichnung
„Bandit“ ist auf Korsika durchaus ein ehrba-
rer Titel, da ein Mann ja nur dazu wurde,
weil er die Ehre der Familie verteidigt hatte.
Folglich begegnete man vielen Geflohenen
Die Vendetta ist eine einst im Mittelmeer-
raum weit verbreitete, aber auf Korsika zu
trauriger Perfektion gelangte Form der
Blutrache. Auch wenn die Ursprünge der
„Tradition“ der Vendetta nicht mehr ein-
deutig nachgewiesen werden können, so
spricht vieles dafür, dass sie eine Form der
Selbstjustiz ist, deren Entstehung durch
das Fehlen einer funktionierenden Ge-
richtsbarkeit und Gemeindeverwaltung
begünstigt wurde.
Durch die ständige, jahrhundertelang an-
dauernde Bedrohung der Bevölkerung
durch Überfälle, Kriege und Besatzung ha-
ben sich auf Korsika spezifische Überle-
bensstrategien entwickelt. Zu diesen Stra-
tegien zählten der Rückzug in die Berge
oder die Macchia, um dadurch Eindringlin-
gen, denen man mit Waffen nicht beikom-
men konnte, zu entfliehen, und die überra-
gende Bedeutung der Familie. Diese konn-
te den Menschen in den oft kleinen Dorf-
gemeinschaften ohne eine funktionierende
Verwaltungsstruktur am ehesten emotiona-
len und körperlichen Schutz bieten.
„Macchia“ und „Familie“ sind Schlüs-
selworte, die die Vendetta umschreiben,
und die dann fatal werden, wenn der Mi-
schung noch eine Prise „verletzter Ehre“
beigemengt wird. Die Schilderung der kor-
sischen Mentalität in „Asterix auf Korsika“
ist vielleicht leicht überzeichnet, trifft aber
einige Wesenszüge sehr genau, die zur Ent-
stehung der Blutrache beigetragen haben
und auch heute noch zu beobachten sind,
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