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Der Politiker Silvio Spaventa, der eigentlich aus den Abbruzzen stammte, als junger
Mann in Neapel aber ein paar Jahre Hauslehrer der Kinder von Benedetto Croce war und
nach vielen Abenteuern und Wechselfällen des Lebens nach Neapel zurückkehrte, bestätigt
dieses Entsetzen in einem Brief an seinen Bruder Bertrando, ebenfalls im Oktober 1860:
Es ist eine ständige Bettelei, ein Sich-unter-den Nagel-Reißen, wo es nur geht und so viel es nur geht, ein
Gefeilsche, ein Intrigieren, eine einzige Klauerei. Es ist nicht abzusehen, wie dieses Land wieder in einen
vernünftigen Zustand gebracht werden soll; es ist, als sei die moralische Grundordnung aus den Fugen geraten;
ich fürchte, die Ankunft des Königs und seiner Regierung wird wenig oder gar nichts ausrichten. Es ist aber
notwendig, dass er kommt, und zwar sofort.
Senator Diomede Pantaleoni (Vater des Wirtschaftswissenschaftlers Maffeo Pantaleoni)
schreibt 1861 an den Politiker Marco Minghetti: «Durch Kalabrien muss man reisen wie
eine Karawane durch die Wüste, die sich der Araber und Beduinen zu erwehren hat.» In
seinem Buch über den Zug der Tausend definiert Giuseppe Bandi, der Schriftsteller,
Journalist und selbst einer der Tausend im Gefolge Garibaldis, die Sprache der Sizilianer
als africanissima. 1909 schreibt der bedeutende Lukaner Meridionalist,[ 2 ] der große
Agrarwissenschaftler, Intellektuelle und Politiker Giustino Fortunato, dass «der Norden
eine Einheit mit Zentraleuropa bildet, der Süden dagegen zur Mittelmeerzone gehöre; auf
der einen Seite endet Europa, auf der anderen beginnen Nordafrika und Kleinasien». Auf
der Reise nach Palermo, fügt er hinzu, sah er eine Gruppe von Männern auf sich
zukommen, «alle hoch zu Ross, mit dem Käppchen auf dem Kopf und der Schrotflinte quer
über dem Sattel, wie eine Horde Beduinen». Ein großer Geist wie Leopardi geht - Anfang
der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts - so weit, Neapel als «Stadt der Taugenichtse
und Pulcinellas, halbbarbarisch und halbafrikanisch» zu bezeichnen. Noch 1921 schreibt
der Journalist Giuseppe Prezzolini, Italien bestehe aus zwei Hälften: «Einer europäischen,
die ungefähr bis Rom reicht, und einer afrikanischen oder balkanischen, von Rom ab
südwärts.»[ 3 ] Für die meisten also war die Entdeckung des Mezzogiorno ein Trauma.
Cavour übrigens, der höchste politische Architekt der Einheit Italiens, hat es nie weiter in
den Süden als bis nach Florenz geschafft, er hat nie einen Fuß in die spätere Hauptstadt
Rom gesetzt, und über den Rest der Halbinsel besaß er nur sehr vage und allgemeine
Kenntnisse.
Die historische Wahrheit ist, dass der König der beiden Sizilien nach der
 
 
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