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V. MEZZOGIORNO
Die Entdeckung des Südens
Der einflussreiche gemäßigte Politiker Luigi Carlo Farini reist nach seinem Rücktritt vom
Amt des Innenministers der dritten Cavour-Regierung 1860 im Gefolge König Vittorio
Emanueles II. nach Neapel. Er ist dabei, als Garibaldi beim «Handschlag» von Teano am
26. Oktober 1860 die Souveränität Viktor Emanuels auch über Süditalien anerkennt, von
eigenen Machtansprüchen zurücktritt und dem Savoyer König von Sardinien-Piemont
Süditalien übergibt, das er mit seinen Tausend erobert hatte. Erst durch diese Geste
konnte Viktor Emanuel später zum König von Italien werden.
Am Tag darauf schreibt Farini einen Brief an Cavour, der bei weitem nicht so bekannt ist
wie das historische Treffen selbst, aber in meinen Augen sehr viel bedeutsamer. Darin gibt
der Conte seine Eindrücke über den Süden wieder: «Was sind das nur für Länder, dieser
Afrika: Im Vergleich zu diesen Primitivlingen sind die Beduinen die Blüte der
zivilisatorischen Tugend.» Voller Bestürzung erzählt Farini, wie die Bourbonen, nur um
sich auf ihrem wankenden Thron zu halten, dem schlimmsten Abschaum «einen Freibrief»
gegeben hätten und wie sich der Pöbel diese schrankenlose Freiheit aufs Übelste zunutze
gemacht habe: «Auch die Primitivlingsfrauen töten; und schlimmer noch: Sie binden die
Edelmänner … an den Hoden fest und ziehen sie so durch die Straßen, dann machen sie
ritsch ratsch - unvorstellbare Gräuel.»
Der Brief zeugt von großer Erregung, und der mentale Zustand des Absenders ist
vielleicht schon labil. Wegen einer schweren Geisteskrankheit wird Farini wenige Jahre
später gezwungen sein, sich vom Amt des Ministerpräsidenten (1862/3) zurückzuziehen.
Nicht einmal in diesem Zustand jedoch hätte er sich auf diese Weise ausgelassen, wenn
seine Darstellungen nicht der allgemeinen Erschütterung einer Führungsschicht
entsprochen hätten, die mit einem Schlag die elenden Zustände im Mezzogiorno
entdeckte.
