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in den Marken. Auch die Marchesina war eine Vernunftehe eingegangen, mit dem
örtlichen Amtsarzt - eine Madame Bovary der Marken. Man kann sich also leicht
vorstellen, was für eine aufregende Neuigkeit die Ankunft des Dichters für sie darstellen
musste, dessen Anbetung ihr gewiss nicht missfiel, noch dazu aus einer Stadt wie Rom,
welch neuen Wind er in ihr Leben brachte. Natürlich ist es auch kein Zufall, dass unter
den Sonetten, die Belli in Morrovalle (September 1831) schrieb, einige seiner erotisch
gewagtesten sind. Nur ein kleines Beispiel:
Ich wünscht', mir wär' ein Lottoglück von größter Größe
so sicher, wie dass du mit einem Augenzwinkern
mehr Schwänze steifst als andre mit entblößter Möse.
Für Nina, 7. September 1831[ 5 ]
Morrovalle liegt nur wenige Kilometer von Recanati entfernt, die junge Vincenza war mit
ihrer Familie häufig zu Gast im Hause Leopardi. Logistisch ist es durchaus wahrscheinlich,
dass die beiden Dichter mehrfach Gelegenheit hatten, einander kennenzulernen. Einen
Beleg dafür gibt es nicht, es ist aber auch möglich, dass sich die beiden im Winter
1831/32 in Rom begegnet sind, als Belli an der Piazza Poli wohnte und Leopardi während
seines Aufenthaltes unweit davon in der Via dei Condotti. Wenn, dann war ihr Kontakt
oberflächlich und zufällig, und das ist schade, denn sie hatten einiges gemeinsam.
Beide waren sie Untertanen des Papstes, ad eins. Beide hatten eine Tendenz zur
Melancholie. Beide litten unter dem kulturell engstirnigen, rückwärtsgewandten,
verzagten Klima im päpstlichen Rom, vor dem sie - jeder auf seine Weise - in ihren
Werken Zuflucht suchten. Was hätten sie sich nicht alles sagen können, wenn sie
miteinander gesprochen hätten. Was sie allerdings trennte, war das Alter. Belli war sieben
Jahre älter und sollte Leopardi um ein Vierteljahrhundert überleben. Giacomo starb mit
neununddreißig, Belli mit zweiundsiebzig; Giacomo aufgezehrt von seiner Krankheit, Belli
niedergedrückt von einer gespenstischen Hypochondrie. Er schreibt: «Ich bin allein zu
Hause, wie die Zeit, die mich mit sich zieht.» In seiner Antwort auf den Brief eines
entfernten Verwandten, der ihn als «geborenen Dichter» bezeichnet hatte, schreibt er, er
fühle sich eher wie ein «gestorbener Dichter». Kurioserweise sind das beinahe exakt
dieselben Worte, die Leopardi über sich selbst schrieb, geraume Zeit, bevor der Tod ihn
 
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