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An die Überschaubarkeit von Recanati gewöhnt, schreckt der Dichter vor der
Weitläufigkeit Roms zurück, auch wenn es sich hier, verglichen mit den großen
europäischen Metropolen, alles in allem um eine recht bescheidene Dimension handelt. So
groß ist die Furcht, das Misstrauen, das Unglück, dass er die großen Monumente kaum
beachtet, als er durch die Via Condotti spaziert, von der Piazza di Spagna durch den
Babuino zur Piazza del Popolo läuft. Einer der wenigen Orte, die ihn wirklich in Bann
ziehen, ist das Kloster Sant'Onofrio an den Hängen des Gianicolo, wo sich Tassos Grab
befindet. Schon Chateaubriand war davon wenige Jahre zuvor so verzaubert, dass er nach
seinem Besuch dort in den Memoires d'outre-tombe notiert: «Sollte ich das Glück haben,
meine Tage hier zu beschließen, werde ich mir in Sant'Onofrio gleich neben dem Zimmer,
in dem Tasso starb, eine Zufluchtsstätte einrichten.»[ 4 ]
Als ich das Kloster besuchte, den Garten, die Kapellen, den Vorhof mit dem Blick auf
Rom, habe ich ein ganz ähnliches Empfinden gehabt, aufgrund einer Faszination, die bis
heute fast vollständig erhalten geblieben ist. So war es auch für Leopardi bei seinem
deprimierenden Aufenthalt in Rom; in Sant'Onofrio erlebte er eine der wenigen echten
Emotionen. Seinem Bruder Carlo schrieb er in dem berühmten Brief vom
20. Februar 1823: «Am Freitag, dem 15. Februar, besuchte ich Tassos Grab und weinte
dort. Das ist die erste und einzige Freude, die ich in Rom empfunden habe.» Und weiter:
«Viele verspüren ein Gefühl von Unbehagen, wenn sie das Grab Tassos sehen, nur von
einem anderthalb Handbreit breiten und langen Stein bedeckt und angezeigt, in der Ecke
eines winzigen Kirchleins … Du verstehst das große Gefühl, das angesichts dieses
Gegensatzes zwischen Tassos Größe und der Bescheidenheit seiner Grabstätte aufwallt.»
Es war eine unglückliche Zeit in Rom. Niedergeschlagen macht sich Leopardi Ende April
wieder auf den Heimweg. Am 26. vertraut er seinem Freund Pietro Giordani an: «Ich bin
auf der Welt zu nichts mehr nutze.»
Eine merkwürdige Übereinstimmung verbindet den großen Giacomo Leopardi mit dem
großen Giuseppe Gioachino Belli. Der römische Dichter, der widerwillig eine Zweckehe
mit einer Witwe eingegangen war, die vierzehn Jahre älter war als er, hatte eine lang
anhaltende Leidenschaft für die Marchesina Vincenza Roberti (die er liebevoll Cencia
nannte); jahrelang besuchte er sie jeden Sommer in dem Dorf, wo sie wohnte: Morrovalle,
 
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