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abgesehen vom Asphalt. Und wenn man den Blick ein wenig umherschweifen lässt, findet
man hier und da Bergsilhouetten, Wald- oder Landstreifen, die heute noch genauso
aussehen, wie er sie zu seiner Zeit gesehen haben muss, mit seinen schlechten Augen und
seiner «Kurzsichtigkeit».
Leopardis Absicht war es, sich in der Hauptstadt niederzulassen, sich auf alle Fälle der
erstickenden väterlichen Kuratel zu entziehen. Um dem Gefängnis von Recanati zu
entfliehen, war er zu allem bereit, sogar dazu, Priester zu werden. Doch gesagt ist nicht
getan. Als ihm nämlich Kardinal Consalvi, der Staatssekretär Pius' VII., den man zu seinen
Gunsten um Vermittlung gebeten hatte, anbietet, «das Hofgewand anzulegen», also eine
Stellung irgendwo zwischen Prälaten- und Laienstand anzunehmen, was ihm eine schnelle
Karriere in der Kirche ermöglicht hätte, verweigert Giacomo dies in einem Anfall von
Stolz oder aus einem tieferliegenden Abwehrmechanismus und schreibt, sein Leben solle
«so unabhängig wie möglich sein».
In Rom hält er es ungefähr sechs Monate aus, als Gast seiner Cousins aus der Antici-
Familie, die ihm in einem Zwischengeschoss, vielleicht auch unter dem Dach, jedenfalls
nicht in der Beletage, ein kleines kaltes Zimmer zur Verfügung stellen. In seinen Briefen
beklagt sich der arme Dichter immer wieder über die Frostbeulen, die ihn quälen und die,
wenn sie aufplatzen, zu kleinen schmerzhaften Wunden werden, die nur sehr langsam
abheilen.
Die Antici waren eine typisch papistische Familie, weder arm noch allzu reich, fröhlich
und geizig, unordentlich und kulturell desinteressiert, kleingeistig und von engem
Horizont, mit einem trostlosen, spießigen Geschmack. Giacomo nennt sie «sprunghaft,
undefinierbar, unvorhersehbar, unbegreiflich». Seine Schilderungen der Tischgespräche
vermitteln ein anschauliches Bild von der Engstirnigkeit dieser Familie. Die Briefe an die
Geschwister Carlo und Paolina führen uns in ein großes, eiskaltes Wohnhaus mit kahlen
Wänden, dazu kann man sich eine Dienerschaft in abgewetzten Livrées und ausgetretenen
Schuhen vorstellen, daran gewöhnt, in der Küche die Reste von den Tellern zu klauen, um
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