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stammende Schriftsteller war ein gegenüber der später als «modernistisch» bezeichneten
Strömung offener Katholik. Es sind die Jahre des Non expedit («Es ist nicht angebracht»).
Mit der päpstlichen Bulle von 1874 hatte Pius IX. den Katholiken im jungen italienischen
Nationalstaat verboten, am politischen Leben teilzunehmen, weil er es eben für «nicht
angebracht» hielt. Fogazzaros Roman hat auch dies zum Thema. Daniele Cortis, der
Protagonist, ist ein konservativer, aber aufgeschlossener Friauler Abgeordneter, der gegen
die Korruption der Regierung protestiert, der nur zu gern einen starken Mann wie
Bismarck am Ruder der Nation sähe und der trotz allem das Non expedit verweigert, weil
er, wie Cavour, eine freie Kirche in einem freien Staat anstrebt. Kurioserweise erfindet
Daniele irgendwann den Begriff, der mehr als ein halbes Jahrhundert lang gewissermaßen
der Namensgeber für die Mehrheitspartei Italiens sein wird: «In meinem Gedanken sehe
ich das leuchtende und mögliche Ideal einer christlichen Demokratie.»[ 28 ]
Neben dem politischen Werdegang des jungen Abgeordneten ist da noch die
Liebesgeschichte mit seiner Cousine Elena, die im Alter von neunzehn Jahren unglücklich
mit dem sizilianischen Baron Carmine di Santa Giulia verheiratet wurde, einem
Glücksspieler und eingefleischten Hurenbock. Sie ist ausgesprochen elegant, brennt vor
Liebe zu Daniele, wie er für sie, doch gestatten sie sich allenfalls einen Kuss, vielleicht
auch zwei. Ansonsten nur Händchenhalten, flüchtige Berührungen von Gliedmaßen in
bekleidetem Zustand: «Sie löste sich von den kräftigen Händen, die sie umfassten, und
bewegte sich zum Eingang des Portikus. Von dort drehte sie sich um, um ihm mit einem
raschen Blick ihre Seele in die Augen zu werfen; und verschwand.»
Und dann ist da das Parlament; Fogazzaro fuhr nach Rom, um vor Ort zu recherchieren,
das Leben im Montecitorio aus der Nähe zu beobachten, und füllte damit Notizbücher.
Wir sehen die Abgeordneten, die aus der Provinz in die Hauptstadt kommen und verloren
durch die große Stadt und die unendlichen Korridore des Parlaments irren, die auf die
grassierende Korruption mit Entsetzen reagieren, die den Reden der Kollegen aus
gewissen Gruppierungen zuhören und versuchen, sich ein Bild zu machen, die Zettel mit
merkwürdigen Botschaften lesen, anonym und daher besonders bedrohlich.
Mit Daniele Cortis schreibt Fogazzaro den ersten echten «Parlamentsroman» und
vervollständigt damit das Bild eines Italien, das in diesen Jahren als Einheitsstaat Gestalt
 
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