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Der Schriftsteller Guido Gozzano sieht sie (in L'amica di nonna Speranza - Die Freundin
von Großmutter Speranza) so:
Loreto ausgestopft und die Büsten von Alfieri und Napoleon, die gerahmten Blumen (die guten Dinge des extrem
schlechten Geschmacks!), der ein wenig düstere Kamin, die leeren Konfektschachteln, die Marmorfrüchte unter
der Glasglocke, die Nippesfiguren, das muschelbesetzte Schmuckkästchen, die Tafeln mit Kalendersprüchen,
salve, ricordo, die Kokosnüsse, Venedig als Mosaik, die verblassten Aquarelle, die Drucke, die Truhen, die mit
archaischen Anemonen bemalten Alben.[ 27 ]
Tiefstes 19. Jahrhundert. Heute sieht der Nippes natürlich anders aus. Niemand (fast
niemand) stellt sich mehr die Schneekugel mit «Venedig im Winter» auf die Kommode.
Der Geist aber ist noch derselbe. Mit «derselbe» meine ich das Maß der Dinge, des
eigenen Horizonts, des Lebens an sich.
Graf Sperelli ist der Vorfahre der anderen Sorte von Italienern, der Unkorrekten, der
Varietekünstler, der Schamlosen, die kein Problem damit haben, auch dann Geld
auszugeben, wenn sie keins haben, die auf rätselhafte Weise stets über ihre Verhältnisse
leben, die Sprücheklopfer nach dem Motto: «… in galera ci finiscono i poveracci» - etwa:
«Die Kleinen hängt man …», große Yachten, Glücksspiel, Rampenlicht, flüchtige Affären,
geraubter Sex als kurzlebiger Kick. Das schnelle Lachen, die lockere Zunge, die
Herausforderung, das Risiko, durch Gewalt oder üble Nachrede bezwungenene Gegner,
die Behörden stets zu Diensten, die Nähe der Mächtigen - wer auch immer gerade das
Sagen hat. Und dann die Slogans: «Sie sind traurig, wir sind fröhlich!» - «Sie wollen
Regeln, wir lieben die Freiheit!»
Früher war es einfacher, die erste Sorte von der zweiten zu unterscheiden, mit der Zeit
ist alles ein bisschen durcheinandergeraten; die beiden Typologien sind aber
unverwüstlich, und die Italiener der zweiten Kategorie sind zwar in der Minderheit,
bringen es aber immer wieder fertig, ihrer Epoche den Stempel aufzudrücken.
Ich habe von zwei Romanen erzählt. Um eine echte italienische Trilogie der achtziger
Jahre des 19. Jahrhunderts zu bilden, hätte ich eigentlich drei zitieren müssen. 1885
veröffentlicht Antonio Fogazzaro seinen zweiten Roman Daniele Cortis. Der aus Vicenza
 
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