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II. DE AMICIS' HERZ UND D'ANNUNZIOS LUST
Die Italiener, von innen besehen
Dieses Kapitel erzählt von zwei sehr speziellen Büchern, Romanen, die ganz wesentlich
dazu beigetragen haben, das Selbstbild der Italiener zu konstruieren. Damit haben sie
zwei typische, wenngleich entgegengesetzte Verhaltensweisen vorweggenommen: die des
guten, des anständigen Italieners (per bene) bei De Amicis und eben die des
«unanständigen» (per male) bei D'Annunzio. Sie sind zwar vor vielen Jahren geschrieben
worden, wenn man sich aber einen typischen Italiener per bene wie Romano Prodi und
einen typischen Italiener per male wie Silvio Berlusconi betrachtet, zeigt sich: Die
Nachfahren ihrer Helden dominieren weiter die Zeitgeschichte, weshalb man, jenseits von
jeder literarischen Bewertung, sagen kann, dass in diesen Bücher Archetypen präsent sind,
die im Leben Italiens Spuren hinterlassen haben und bis heute aktuell sind. Was im
Übrigen nicht sonderlich überrascht. Literatur als Kondensat der Geschichte ist gar nicht
selten. «Ein Klassiker [ist] ein Buch, das sich als Gegenstück des Universums gestaltet»,
hat Italo Calvino einmal geschrieben.[ 1 ] In unserem Falle aber handelt es sich nicht um
das Universum, sondern - bescheidener - um die italienische Halbinsel. Deshalb ist es
beim Wiederlesen dieser Bücher auch so (und zuweilen sogar noch besser), als besuche
man einen Ort oder treffe man eine Person, die man lange nicht mehr gesehen hat.
Literarisch werden die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts 1881 von Giovanni Verga
eröffnet, mit seinem revolutionären, den Verismus einleitenden Roman vom sozialen
Abstieg einer sizilianischen Fischerfamilie: I Malavoglia (auf dt. erschienen unter dem Titel
Die Malavoglias). 1883 folgten Antonio Fogazzaros psychologischer, zwischen Romantik,
Naturalismus und Symbolismus schwankender Roman Malombra und Le avventure di
Pinocchio (Die Abenteuer des Pinocchio) von Carlo Lorenzini alias Collodi. Vor allem aber
sind es zwei Titel, die in dem Jahrzehnt Furore machen, und von ihnen wollen wir
erzählen: Cuore (Herz) von Edmondo De Amicis und Il piacere (Lust) von Gabriele
D'Annunzio. Sie erscheinen im Abstand von wenigen Jahren, das eine mit starkem Turiner
 
 
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