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von Salò, sind so etwas wie das Konzentrat einer Tragödie gewesen. Mussolini zum
Gespenst geschrumpft, eine Marionette in der Hand seiner Nazi-Wärter; seine schwarzen
Brigaden in den italienischen Dörfern mit Operationen niederer Schlächterei beschäftigt,
die Partisanen an Drahtschlingen aufgehängt, Wohnungen in Folterkammern verwandelt,
kriminelle Banden, die auf eigene Faust agieren, Gefangene machen, vergewaltigen, töten,
sich jeder faschistischen oder politischen Kontrolle entziehen. Eine bleierne Atmosphäre,
die Zellenwände blutverkrustet, wie man nach der Befreiung entdecken wird. In diesem
Rahmen ist die Essenz der Tragödie durch Mussolini verkörpert, der von den Nazis
gezwungen wird, den Befehl zur Erschießung seines Schwiegersohns Galeazzo Ciano zu
geben. Seine Tochter Edda fleht ihn an, den Vater seiner Enkel zu verschonen, pathetisch
droht sie, die Tagebücher ihres Mannes zu veröffentlichen, als ob diese Seiten, die nur
noch als Material für die Historiker taugen, noch in irgendeiner Weise auf das Massaker
Einfluss nehmen könnten. Eine Tragödie im wahrsten Sinne des Wortes: ein Mann,
zerrissen zwischen der Liebe zu seiner Tochter und der Pflicht gegenüber dem
Schreckensregime, das es ihm erlaubt hat, noch ein bisschen weiterzuleben. Im
angelsächsischen Sprachraum nennt man das (nach Frederick Forsyths Roman) «des
Teufels Alternative». Es gibt keine gute und keine schlechte Wahl, sie sind alle beide
schlecht, egal, für welche man sich entscheidet.
Die Tragödie hätte ein ebenso tragisches Finale gebraucht, einen symbolischen Akt als
Abschluss einer menschlichen und politischen Geschichte, die das Land gezeichnet, und
mehr noch: offenkundig gemacht hatte, wie wenig den Italienern die Freiheit wert ist.
Dieser symbolische Akt hätte eine Demonstration dafür sein können, dass es hinter den
tosenden Aufmärschen, den Blechrüstungen und Pappschwertern etwas Reales gab; dass
daran geglaubt zu haben, dafür gestorben zu sein, für jenes Italien nicht nur ein Zeichen
von Verantwortungslosigkeit oder Dummheit gewesen war.
Diesen symbolischen Akt gab es nicht. In die Ecke eines deutschen Lastwagens geduckt,
vom Mantel eines fremden Heeres umhüllt, den Kragen hochgestellt, um das Entsetzen in
seinen Augen zu verbergen, der große Schädel bedeckt mit einem quer aufgesetzten
Stahlhelm, so ließ sich der Duce gefangen nehmen, verwirrt, zitternd. Das war kein «den
Himmel mit Götterdämmerungsröte überziehender Untergang», das war nur blanke
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