Travel Reference
In-Depth Information
I. EIN LAND VOLLER ÜBERRASCHUNGEN
Die Italiener, von außen besehen
George Gordon Byron kommt im November 1821 in Pisa an, wohnt im Palazzo Lanfranchi
am Ufer des Arno und findet sofort Anschluss in dem kultivierten und exzentrischen Kreis
um das Ehepaar Shelley, zu dem auch die Geschwister Teresa und Pietro Gamba gehören.
Die Zeit verbringt er aufs Angenehmste mit literarischen Aktivitäten, langen Ausritten,
Tontaubenschießen auf einem Anwesen außerhalb Pisas. Im Dezember 1821 schreibt er
an seinen Verleger und Freund John Murray:
Ich bin hier in einen berühmten alten, feudalen Palazzo geraten, am Arno, groß genug für eine Garnison, mit
Verliesen unten und Zellen in den Mauern und so voll von Geistern, dass der gelehrte Fletcher (mein
Kammerdiener) um Erlaubnis gebeten hat, sein Zimmer zu wechseln, und dann weigerte er sich, sein neues
Zimmer zu bewohnen, weil es da noch mehr Geister gebe als in dem anderen. Es ist ganz richtig, dass es die
ungewöhnlichsten Geräusche gibt (wie in allen alten Gebäuden), die die Diener derart erschreckt haben, dass es
für mich extrem lästig war.[ 1 ]
Ein Geist hat sich sehr lange herumgetrieben, und im Bewusstsein der Italiener treibt er
sich noch heute herum: Es ist die Art und Weise, in der sie als Volk von außen, von den
Ausländern betrachtet und beschrieben werden. Die Italiener bewohnten die
langgestreckte Halbinsel seit langem, lange Zeit vor der Proklamation des Königreichs
Italien. Wenn man streng und ein wenig provokatorisch sein wollte, könnte man Massimo
d'Azeglios Prophezeiung «Pur troppo s'è fatta l'Italia, ma non si fanno gl'Italiani.» - «Italien
ist geschaffen, aber leider schafft man nicht die Italiener» umkehren: Es waren die
Italiener, die schon geschaffen waren, aber nicht Italien - was noch zu schaffen war,
waren also nicht sie, die Italiener, sondern eben Italien.[ 2 ]
Externe Beobachter der italienischen Halbinsel waren sich dieser Tatsache immer
bewusst. Sie waren imstande, gewisse Verhaltenskonstanten der Bewohner zu erkennen in
einer geografischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit, die zerklüftet, widersprüchlich, in
gewissen Aspekten faszinierend, in anderen dagegen abstoßend wirkte. Dabei war der
Abstand zwischen einem sehr positiven und einem sehr negativen Pol so groß wie sonst
 
 
 
Search WWH ::




Custom Search