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Die Juden waren von vielen Handwerksberufen ausgeschlossen, vom Gewerbe, vom
Unterricht; Immobilien- und landwirtschaftlicher Grundbesitz war ihnen untersagt. Es
blieben nur wenige Möglichkeiten, auf ehrliche Weise Geld zu verdienen, darunter der
Handel mit gebrauchten Textilien und der Geldverleih gegen Zinsen, der den Christen qua
Religion verboten war. Auf dem Festland, in Mestre, gab es einen kleinen Kreis jüdischer
Bankiers mit der Lizenz, in die Lagunenstadt zu kommen, um dort ihre Geschäfte
abzuwickeln, dies aber unter der Voraussetzung, dass sie sich nicht länger als zwei
Wochen dort aufhielten. Nun geschah es zum Beispiel 1508 - zur Zeit der Liga von
Cambrai[ 4 ] -, dass feindliche, gegen Venedig koalierende Truppen beinahe die Stadt
erreicht hatten und viele Einwohner von Mestre, einschließlich der Juden, auf die Lagune
flüchteten. Die Juden suchten einen Unterschlupf, die Serenissima brauchte Geld, es kam
zu einem Treffen, und die ursprünglich noch sehr kleine Kerngemeinde wurde allmählich
größer. Die Aufenthaltsgenehmigungen waren immer noch zeitlich befristet, und um sie
zu bekommen, musste man zahlen, doch handelte es sich inzwischen um sehr viel längere
Fristen als die einstmals nur 14 Tage.
Zur Liga von Cambrai gehörte auch Papst Julius II. Della Rovere, der gegen Venedig
kämpfte, weil er sein Herrschaftsgebiet auf Ravenna und die Romagna-Küste ausdehnen
wollte. Nach einigen Monaten wurde dem Papst jedoch klar, dass von Frankreich, das
ebenfalls seinem Bündnis angehörte, eine sehr viel ernsthaftere Gefahr ausging als von
Venedig. Er wechselte die Fronten und verbündete sich mit der Serenissima. Für Venedig
wurde dadurch die Gefahr geringer, für die Juden dagegen nicht.
Im Augenblick der größten Bedrängnis, als es nämlich so aussah, als stünde die
Vernichtung der Stadt durch die mächtigen feindlichen Koalitionäre unmittelbar bevor,
brach eine weitere Gefahr über die Juden herein. Es waren ausgerechnet die Franziskaner-
Prediger, die von Kanzel zu Kanzel ständig wiederholten, dass die Feinde erst
zurückgedrängt und die Gefahr erst dann abgewendet wären, wenn Venedig die Sünden
vertrieben hätte, die sich in der Stadt eingenistet hatten. Und eine davon sei in die
Anwesenheit der Juden, der «Christusmörder» zu sehen.
Solche Worte fielen nicht auf unfruchtbaren Boden. Die Serenissima hatte ihre
Unabhängigkeit zwar bewahrt, figurierte nun aber als Verbündete des Papsttums. In
 
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