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Jahre später mit der Arbeit an seinem Jüngsten Gericht in der Sixtina beginnen wird.
Noch stärker ist dies in der Tafel zu spüren, die der echten, mit exaltiertem Realismus
beschworenen Hölle gewidmet ist: eine Anhäufung von zuckenden Leibern und
Gliedmaßen, mittendrin Teufel mit grünen Gesäßbacken, die die Verdammten
durchbohren, verstümmeln, blenden; einige werden von fliegenden Dämonen zu Boden
geschleudert, die Verrenkungen der Glieder scheinen die schwindelerregenden
Todesstürze der unglücklichen Menschen vorwegzunehmen, die sich am
11. September 2001 in New York von den Twin Towers ins Bodenlose stürzten. Im
Mittelpunkt der Szene die «Prostituierte» (ein Bild, das eine eigene Berühmtheit erlangte),
die auf dem Buckel eines gehörnten Dämons mit Fledermausflügeln in die Verdammnis
überführt wird. In ihrem Gesicht drückt sich Angst aus, vielleicht Bedauern über ein
Leben, das hätte besser sein können. Ganz oben drei unerschütterliche Engel, Hand am
Schwert, die darüber wachen, dass keiner seiner Strafe entgeht.
Der unüberschaubaren Menge an Literatur über das ungeheure Jüngste Gericht
Michelangelos ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Ich möchte an dieser Stelle lediglich auf
gewisse Absonderlichkeiten hinweisen und auf das eine oder andere bedeutsame, witzige
oder auch nur menschliche Detail, das den Geist und die Absicht dieser
schreckenerregenden Darstellung zusammenfasst. Sie zeigen auch den freien und
spöttischen Geist des Menschen Michelangelo. In der rechten unteren Ecke des ungefähr
170 Quadratmeter großen Freskos ist die Gestalt eines Mannes mit seltsam verdrehter
Physiognomie und Eselsohren zu sehen. Eine riesige Schlange hat sich um ihn
herumgewickelt, drückt ihm den Brustkorb zusammen, schlingt sich dann mit ihren
Windungen bis zu den Leisten, beißt ihm in die Hoden. Wer ist dieser unselige
Totenrichter Minos, sicher einer der unglücklichsten unter den Verdammten? Es handelt
sich um Messer Biagio da Cesena, Zeremonienmeister Papst Pauls III. Farnese. Dieser
hatte sich in die Sixtina begeben, um sich das Fresko anzusehen, während es noch in
Arbeit war, und hatte die Unvorsichtigkeit begangen zu sagen, dass ihm das Werk mit
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