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stärker werdenden Einfluss Süditaliens, sowohl während des Faschismus als auch in der
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In den sechziger Jahren zum Beispiel war bei der
Linken die Meinung verbreitet, dass es die Christdemokraten seien, die den Staat
besetzten, bevorzugt natürlich mit burocratici di consenso, also Staatsangestellten der
gleichen Couleur. Unter den leitenden Angestellten des öffentlichen Dienstes kamen die
Süditaliener auf Spitzenwerte von 80-90 Prozent; zu 80 Prozent kamen die
Einstellungsgesuche für die öffentlichen Sicherheitsorgane aus Mittel- und Süditalien und
nur zu 20 Prozent aus dem Norden.
Das mag alles richtig sein, es ist aber genauso richtig, dass es dieses deutliche
Übergewicht nicht gegeben hätte, zumindest nicht in einem solchen Maße, wenn die
Führungsschichten des Nordens sich bei der Sorge um die res publica engagierter gezeigt
hätten. Dies hätte mit dem frischen Wind von Dynamik und Kreativität geschehen
können, der auf das Ende des Krieges folgte. Einige Monate lang hatte man ja tatsächlich
den Eindruck, dass sich im Vergleich zu vergangenen Zeiten im Land auch in dieser
Hinsicht eine Änderung vollzog. Mailand nahm diese Aufbruchstimmung in ihrer ganzen
Breite auf und setzte sie auf die bestmögliche Weise um, wenn man nur bedenkt - und
hier kehren wir zum Anfang dieses Kapitels zurück -, wie die Stadtverwaltung auf das
Projekt der Eröffnung eines neuen Theaters reagierte, während ein Großteil der
Wohnhäuser und Fabriken noch in Trümmern lag. Man braucht dieser Haltung nur einmal
das Desinteresse so vieler heutiger Verwaltungen für kulturelle Probleme und Projekte
gegenüberstellen, um den vitalen Unterschied, die couragierte Vision, die Power jener
Jahre zu erfassen.
Dieser Geist hat nicht lange genug angehalten, er hat die notwendige Energie und
Ausdauer nicht aufbringen können. Mit Recht wird das im Mezzogiorno so verbreitete
Fehlverhalten gescholten; sehr viel seltener wird eine ähnliche Kritik auch an Mailand und
den Regionen des Nordens geübt. Die Unterschiede sind natürlich da, und sie sind
augenfällig, aber dahinter oder darunter gibt es ein generelleres Problem, von dem das
ganze Land betroffen ist: Es sind die politischen und wirtschaftlichen Führungsschichten,
die der professionellen und moralischen Dimension ihrer Aufgaben oft nicht gewachsen
scheinen.
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