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zu geben: im 16. Jahrhundert nannten sie es Ri-nascimento (Wiedergeburt oder
Renaissance), im 19. Jahrhundert Risorgimento (Wieder-Erstehung). Für die Jahre nach
1945 könnte man einen ähnlichen Begriff erfinden und als Beispiel die Fabriken anführen,
die wieder zu arbeiten und zu produzieren begannen, das Industriedesign, das den
italienischen Stil in der Welt durchsetzte, die Mode, das Essen, die technologischen
Innovationen, die Innenarchitektur. Nie zuvor in jüngerer Zeit hatte Mailand, hatte Italien
einen solchen Boom erlebt.
Die relative «Unschuld» dieses Aufschwungs war allerdings nicht von langer Dauer. Der
neue Wind, der Enthusiasmus, die Voraussetzung für die Wiedererstehung des Landes
gewesen waren, ließen allmählich nach. Der aufkommende Wohlstand in einem Maße,
wie ihn die Italiener zuvor nie gekannt hatten, ebnete den Weg für die Ausbreitung von
Korruption; es begannen die ersten Verflechtungen der politischen Ambition mit der
Kriminalität.[ 5 ]
Ungefähr in denselben Jahren, in denen am Piccolo Teatro Vita di Galileo über die
Bühne ging, präsentierte Federico Fellini sein Meisterwerk La dolce vita. Und Pier Paolo
Pasolini brachte nach dem Roman Ragazzi di vita seinen ersten Film Accatone heraus. Bei
der Mailänder Premiere wurde Fellini bespuckt, Pasolini bekam wegen «Obszönität»
Ärger mit der Zensur. Alle drei Künstler, die auf unterschiedlichen und komplementären
Registern gearbeitet haben, wurden in der einen oder anderen Weise zensiert. Strehler
und Fellini von der Kirche, Pasolini von dem, was man ein bisschen bequem als die
borghesia benpensante, also als «Spießbürgertum» bezeichnete; dem muss man in Italien
heute fast schon wieder nachweinen, denn der borghesia benpensante kann man Kontra
geben, gegen die borghesia malpensante dagegen ist kein Kraut gewachsen.
Es waren jedenfalls die Künstler, die als erste erkannten, welche Gefahr der plötzliche
Wohlstand, der Konsumismus und der damit einhergehende Verlust von Werten, so
archaisch sie auch immer sein mochten, der fast gewaltsame Ausbruch der Gier nach Geld
und Statussymbolen für ein kulturell fragiles Land wie Italien bedeutete, das auf die
Erschütterungen der Moderne nur unzureichend vorbereitet war.
Strehler, Fellini und Pasolini sind tot, sie haben nicht mehr sehen können, wie Recht sie
hatten mit ihrem Spürsinn. Sie haben nicht mehr sehen können, wie es ausgegangen ist.
 
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