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ich als Kind - nicht in Mailand, sondern in Rom - die Hand auf bestimmte Rohre legte,
die an den Wänden der Wohnung verliefen, und plötzlich spürte, dass sie heiß wurden. Es
war die Heizung, die mit dem Ende des Krieges endlich wieder zu funktionieren begann.
Keine Frostbeulen mehr und keine fingerlosen Wollhandschuhe, um die Hausaufgaben zu
machen. Auch Mozart hatte seine Musik mit solchen Handschuhen geschrieben, bei
Temperaturen, die meines Wissens noch viel drastischer waren. Doch das erfuhr ich erst
viele Jahre später, und bis zu einem gewissen Grad tröstete es mich.
In Mailand war es schlimmer als in Rom, nicht nur wegen des raueren Klimas. Rom
wurde am 4. Juni 1944 befreit, in Mailand musste man bis zum Frühjahr des
darauffolgenden Jahres warten, und der Winter 1944/45 war in jeder Hinsicht der
grausamste.
Und doch gingen in dieser ausgehungerten, halbzerstörten Stadt am Abend die Vorhänge
auf und es wurde Theater gespielt, ging in den Kinos das Licht aus und es begannen im
dichten Rauch schlechter Zigaretten die Filmvorführungen. Die Scala war bombardiert
worden, trotzdem wurden im Teatro Lirico Opern gespielt.
An einem eisigen Februartag des Jahres 1947 besichtigen Paolo Grassi und Giorgio
Strehler ein Gebäude im Zentrum von Mailand, in der Via Rovello, einer kleinen
Querstraße der Via Dante. Der Palazzo hat eine berühmte Vorgeschichte, er gehörte dem
Conte Carmagnola, einem großen Condottiere des 15. Jahrhunderts. Zu Beginn des
20. Jahrhunderts war er die Spielstätte einer von den kommunalen Angestellten auf die
Beine gestellten Laientheatergruppe. Während der Besatzung war er von der
faschistischen Polizeilegion «Muti», einer auf die Partisanenjagd spezialisierten
autonomen Formation, in eine Kaserne umgewandelt und als Gefängnis und Folterkammer
genutzt worden.
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