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Stendhal überträgt die Abenteuer des Alessandro Farnese, die sich im 16. Jahrhundert
zugetragen hatten, auf die Figur des Fabrizio Del Dongo, auf seine eigene Zeit also, um
eine «italienische Kontinuität in der vitalen Energie und der leidenschaftlichen
Spontaneität [zu zeigen], an die zu glauben er nie müde wurde» (Italo Calvino). Den
«Farnese-Turm» hat es in Parma nie gegeben, durch die Erschaffung dieses luftigen,
verzauberten Ortes erlaubt es der Schriftsteller aber seiner Geschichte, zu einem weiteren
Abenteuer vorzudringen, und seinem Fabrizio - und damit auch uns Lesern - ermöglicht
er einen schwindelerregenden Panoramablick auf ganz Norditalien. Kaum ist Fabrizio in
der für ihn vorgesehenen Zelle angekommen, heißt es:
Er lief an die Fenster. Die Aussicht, die man von den vergitterten Fenstern hatte, war herrlich … An diesem
Abend schien der Mond, und als Fabrizio das Gefängnis betrat, ging er gerade majestätisch rechts über der Kette
der Alpen nach Treviso zu auf. Es war erst halb neun Uhr abends, und am anderen Ende des Horizonts hoben
sich im Westen im orangeroten Glanz des Sonnenuntergangs deutlich die Konturen des Monte Viso und anderer
Alpengipfel ab, die sich von Nizza bis zum Mont Cenis und nach Turin hinüberziehen. Ohne irgendwie an sein
Unglück zu denken, war Fabrizio von diesem erhabenen Anblick aufgewühlt und hingerissen.[ 16 ]
Um ein solches Szenario in der Wirklichkeit zu erleben, müsste man mit dem Flugzeug in
einige hundert Meter Höhe aufsteigen. Eine phantastische Vision also, die uns aber gerade
deshalb die ebenso phantastische Dimension wiedergibt, in der Fabrizio lebt.
Der zweite phantastische Ort ist die Kartause, die dem Roman den Titel gibt und in die
sich Fabrizio am Ende seiner zahllosen Abenteuer zurückzieht. Stendhal beendet die
Handlung am Schluss des Romans kurz und bündig: «Am folgenden Tag bat er an
maßgebender Stelle, ihn von seinem Amt als Erzbischof und von all seinen anderen
Würden … zu entbinden, und zog sich in die Kartause von Parma zurück. Die Kartause
liegt in den Wäldern am Po, zwei Meilen von Sacca entfernt.»[ 17 ] Die Wissenschaftler
hatten große Mühe, diesen Ort zu finden, und haben schließlich die Kartause von
Paradigna identifiziert, zurzeit Standort eines Archivs der Universität von Parma. Der
reale Ort hat keine große Bedeutung. Die von Stendhal ersonnene Kartause ist
unzugänglich, versteckt in den Wäldern entlang des Po, mehr ein Ort des Geistes als ein
echtes Bauwerk, in dem man tatsächlich wohnen könnte. Im Übrigen wird auch Fabrizio
Del Dongo nicht lange in dieser Kartause leben, denn kaum ein Jahr, nachdem er sich
zurückgezogen hat, beendet er dort seine irdische Existenz. Nicht beendet aber ist die
 
 
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