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Sehr schöne Worte, vor allem die letzten, in denen er den Zustand der Armut von
jeglichem Gefühl der Lächerlichkeit abkoppelt. Kurz darauf fügt er hinzu:
Wozu sollte ich sie [also die Italiener] auch mit der hohen Sittlichkeit und der Anmut französischer Charaktere
ausstatten, die das Geld über alles lieben und kaum jemals Sünden aus Hass oder Liebe begehen? Die Italiener
dieser Erzählung sind das ganze Gegenteil.[ 15 ]
Auch wenn sein Fürstentum der Phantasie entsprungen ist, so ist das von Stendhal
erzählte Ambiente doch realistisch: ein winziger, von empfindlichen Gleichgewichten
aufrechterhaltener Hof, an dem sich Liebe, Heimlichkeiten, Eifersucht und Erpressung
miteinander verflechten. Fabrizio Del Dongo, jung, attraktiv, von unbeständigen
Leidenschaften getrieben, gelegentlich fast karikaturesk in seinen Verhaltensweisen,
bewegt sich an diesem Hof (aber auch auf dem Schlachtfeld von Waterloo) mit der für
romantische Helden typischen Leichtsinnigkeit, mit Naivität also, er ist sich jedoch
durchaus der Protektion bewusst, die ihm seine Tante, die faszinierende Herzogin
Sanseverina, gewährt. Die Frau ist die Maitresse en titre des mächtigen Ministers Conte
Mosca, in Wahrheit aber liebt sie ihren Neffen, praktisch eine inzestuöse Liebe. Eine
Handlung, die Italo Calvino ganz klar als «melodramatisch» definiert hat, und das ist sie
auch; nicht von ungefähr war die Oper für Stendhal einer der Schlüssel für seine
Entdeckung, Beschreibung und Vorstellung von Italien und für seine Liebe zu diesem
Land. Doch die romanhafte Verklärung eines kleinen, in den Verstrickungen der
postnapoleonischen Restauration verfangenen Reiches überlagert er mit den düsteren
Schatten einer Renaissance-Chronik, in diesem Falle des Lebens von Alessandro Farnese.
Das Werk ist so entstanden: Auf der Suche nach Dokumenten, mit denen bestimmte
Phasen der Geschichte Italiens zu rekonstruieren waren, hatte Stendhal in Rom eine
zerlesene Kladde mit dem Titel Origine delle grandezze della famiglia Farnese (Ursprung und
Größe der Familie Farnese) aufgefunden. Davon war er sehr beeindruckt, wie wir aus der
Randnotiz auf einem seiner italienischen Manuskripte wissen: «Erzählung voller Wahrheit
und Spontaneität in römischem Dialekt. Rom 1834.» Tatsächlich entsprach die Chronik
nicht ansatzweise der Wahrheit, sie war im Gegenteil gespickt mit historischen
Ungenauigkeiten und reinen Erfindungen: falschen Namen, unkorrekten Zeitangaben. Sie
war aber genau das, was der Autor brauchte, um seine Phantasie in Gang zu setzen. Dazu
 
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