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um die vierzig, mit einer auffälligen schwarzen Binde, die mit ostentativem Stolz seine
leere Augenhöhle bedeckte - das war der Mann, der die unerfahrene Marie-Louise beraten
sollte. Diese Aufgabe erfüllte er mit Bravour. Er begleitete die entthronte Regentin zuerst
nach Aix-les-Bains, dann auf der Rückreise nach Wien. In der Schweiz wurde das Paar bei
einem Ausflug auf die Rigi, von den Ortsansässigen «Königin der Berge»[ 10 ] genannt, von
einem Unwetter überrascht. Es fand Zuflucht in einem Gasthaus mit dem
vielversprechenden Namen Zur Goldenen Sonne. Nachdem sie die völlig durchnässten
Kleider gewechselt hatten, wärmten sie sich vor einem mächtigen Kaminfeuer wieder auf,
aßen Linsensuppe mit Speck und tranken einen sehr guten Weißwein. Inzwischen war die
Nacht (vom 25. auf den 26. September 1814) hereingebrochen. Und es passierte, was
schon seit geraumer Zeit zu erwarten war und das Leben Marie-Louises grundlegend
ändern sollte.[ 11 ]
Aus all diesen Gründen grämten die Zweifel an der Legitimität ihrer Ehe die
Erzherzogin nur bedingt. Wenn die Heirat, wie die Legitimisten behaupteten, aufgrund
der Nichtigkeit der Eheschließung ab origine nie gültig zustande gekommen war, beging
sie, als sie die Geliebte des Generals Neipperg wurde, noch nicht einmal Ehebruch, war
sie eine freie Frau, die eine Beziehung mit einem Mann einging, zu dem sie sich
hingezogen fühlte, den sie liebte. In Wien verbreitete während des Kongresses der
päpstliche Nuntius (Botschafter) Antonio Gabriele Severoli ein Memorandum, in dem
noch einmal daran erinnert wurde, dass aus kanonischer Sicht die Ehe zwischen Marie-
Louise und Napoleon nie rechtsgültig war, weil der Papst die Ungültigkeit von Napoleons
vorhergehender Ehe nicht bestätigt hatte. Darüber hinaus gab es Informationen, wonach
Napoleon in seiner Residenz auf Elba seine alte Flamme Maria Walewska empfangen
habe, die von sehr weit hergekommen war, um ihn in der Einsamkeit des Exils zu trösten.
Im Übrigen habe er es mit der ehelichen Treue ohnehin nie so genau genommen. Motive
für Marie-Louise, die mehr als ausreichen, sich nicht allzu schuldig zu fühlen, dem
Drängen ihres draufgängerischen Generals nachgegeben zu haben.
Dies also ist die Frau, die am 18. April 1816 in Parma eintrifft, mit dem dramatischen
Aufruhr der jüngsten Ereignisse hinter sich und unsicheren Hoffnungen auf größere Ruhe
vor sich.
 
 
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