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Sei gepriesen, mein Herr, durch unsere Schwester Mutter Erde,
die uns erhält und führt und mannigfaltige Früchte hervorbringt
mit bunten Blüten und Kräutern.
Sei gepriesen, mein Herr, durch jene, die verzeihen aus Liebe zu dir
und Krankheit ertragen und Verfolgung.
Sei gepriesen, mein Herr, durch unseren Bruder, den körperlichen Tod,
dem kein lebender Mensch entrinnen kann.
…[ 20 ]
Wer mit Franziskus' Leben vertraut ist, hat natürlich bemerkt, dass diese kurzen
Anmerkungen zahlreiche Ereignisse seines Lebens außer Acht gelassen haben. Es ist nicht
die Rede von Klara gewesen, einer sehr wichtigen Figur in seinem Leben, es werden die
berühmtesten Legenden nicht erwähnt, von der Vogelpredigt bis zur Zähmung des Wolfes,
es wird die Erfindung der lebenden «Krippe» mit Ochs und Esel nicht erwähnt - von der in
den Schriften übrigens keine Spur zu finden ist. Auch werden die enormen
Schwierigkeiten nur knapp gestreift, auf die Franziskus bei der Anerkennung der Regeln
und des Ordens durch ein Papsttum stieß, das einer derart radikalen Berufung auf das
Evangelium lange Zeit äußerst argwöhnisch gegenüberstand.
Der Philosoph (und Politiker) Massimo Cacciari zeichnet in einer seiner jüngsten
Publikationen[ 21 ] ebenso kurz wie eindringlich den Weg nach, auf dem Franziskus zum
Göttlichen gelangt, und geht dabei von der verzweifeltsten conditio humana, dem Elend
und dem Hunger, aus. Ich habe in diesem Kapitel ein anderes Verfahren versucht:
Franziskus vollständig aus der Perspektive einer irdischen Dimension zu sehen, um ganz
aus ihr seine heldenhafte Hingabe an eine Idee auf den Prüfstein zu stellen. Cacciaris
Essay ist Giottos und Dantes Franziskus-Interpretationen gewidmet. In den Fresken der
Oberkirche der Basilika San Francesco von Assisi (und in der Bardi-Kapelle der
Franziskanerkirche Santa Croce in Florenz) legt Giotto Franziskus' Leben im Sinne der
Legenda maior des Bonaventura aus. Sein Leben wirkt in gewisser Weise geschönt; es fehlt
zum Beispiel die dramatische Begegnung mit den Leprakranken, geschönt ist auch sein
Tod, den er auf der nackten Erde erleben wollte. Es sieht so aus, als habe sich Giotto der
von der Kirche geforderten «korrekten» Auslegung gebeugt. Ganz im Gegenteil dazu
Dante, dessen Darstellung mehr als ein Akt der Huldigung ist. Seine Verse reflektieren das
 
 
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