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rafften sie an den Seiten mit einer Kordel, dazu trugen sie derbe Hosen. Ihr heiliges Anliegen war es, in diesem
Zustand zu bleiben, ohne mehr zu haben. So waren sie ohne Furcht und Sorge. Ohne jeden Kummer sahen sie
dem nächsten Tag entgegen, fragten nicht ängstlich, wo sie ihr Nachtlager errichten sollten, wenngleich sie auf
ihren Reisen viel Mühsal zu gewärtigen hatten. Bei größter Kälte fanden sie häufig keinen Unterschlupf, dann
kauerten sie sich in einen Ofen oder übernachteten in irgendeiner Spelunke.[ 9 ]
Eine beinahe irrwitzige Episode macht die erschreckenden Grenzen deutlich, die die
ideale Erfahrung der freiwilligen Armut erreichen konnte. In den Fioretti (Blümlein des Hl.
Franziskus, I, VIII[ 10 ]) lesen wir, wie Franziskus eines Tages seinem vertrautesten
Gefährten, Fra Leo, erklärt, was wahre und vollkommene Freude sei. Es ist ein rauer
Wintertag, die beiden marschieren durch den eisigen Wind, der sogar ihre armseligen
Gewänder zum Gefrieren bringt. Franziskus legt Leo einige wundersame Fälle von
Barmherzigkeit dar und erläutert die Kraft, die in der Konversion liegt: «Bruder Leo, wenn
auch Brüder unseres Ordens überall ein hohes Vorbild von Heiligkeit und Erbauung geben,
so schreibe du doch und zeichne es sorgfältig auf, dass darin nicht die vollkommene
Freude besteht.»[ 11 ] Es folgen verschiedene, immer höhere und ausgefeiltere Beispiele,
etwa: «Bruder Leo, du Schäfchen Gottes, wenn Brüder unseres Ordens in der Sprache der
Engel reden könnten und den Lauf der Sterne und die Kräfte der Kräuter kennten; und
wenn ihnen alle Schätze der Erde entdeckt würden und wenn sie das Wesen der Vögel,
der Fische und allen Getiers, der Menschen, der Bäume, der Steine, der Wurzeln und der
Gewässer zu erfassen vermöchten: schreibe, dass darin nicht die vollkommene Freude
besteht.» Schließlich wird der Punkt erreicht, auf den das Plädoyer von Anfang an
hinauslief. Die vollkommene Freude für Franziskus besteht nämlich darin, nach einer
langen Reise durch die kalte Nacht in Porziuncola anzukommen, an die Tür zu klopfen
und vom Bruder Pförtner brutal zurückgewiesen zu werden:
Wenn wir in Santa Maria degli Angeli ankommen, nass vom Regen und steif vor Kälte, beladen mit Schmutz
und geplagt vom Hunger, und an die Klosterpforte pochen werden, so wird der Pförtner missmutig
herausschauen und fragen: «Wer seid ihr?» Wir aber werden sagen: «Wir sind zwei von deinen Brüdern.» Und er
wird antworten: «Ihr sprecht nicht die Wahrheit; ihr seid vielmehr zwei Landstreicher, welche die Leute zu
betrügen herumziehen und die Almosen in die Tasche stecken. … Packt euch hier fort, ihr elenden Spitzbuben
…; hier sollt ihr weder Essen noch Herberge erhalten.» All dies geduldig zu ertragen, selbst Worte von derartiger
Schroffheit, hierin liegt die vollkommene Freude.
Natürlich gibt es eine Erklärung für eine Parabel, die nach reinen Vernunftskriterien
unsinnig erscheint. Die Historikerin Chiara Frugoni hat darauf hingewiesen, dass sich in
 
 
 
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