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Familismus», gekennzeichnet. Bei dieser Art von Gemeinschaftsleben sind solche
Individuen in der Überzahl, deren Handeln ausschließlich an der Maximierung der
materiellen und unmittelbaren Vorteile der eigenen Familie orientiert ist und die sich
dabei um die Regeln, die der Gemeinschaft zugute kommen, nicht scheren, ja sie sogar
verletzen, ganz so, als ob die Welt an der Türschwelle ihres Hauses enden würde. Für
Banfield sind die Ursachen dieses Verhaltens kulturell-anthropologischer Natur und relativ
unabhängig von der sozial-ökonomischen Situation der jeweiligen Familien. Mit anderen
Worten: In einer rückständigen Gesellschaft wie der von ihm beschriebenen verhalten sich
Arm und Reich gleich. Die «Kultur», der beide angehören, hat die Oberhand über den
sozialen Status. Der Reiche baut ohne Baugenehmigung ein Haus, der Arme baut ohne
Baugenehmigung eine Hütte. Der «amoralische Familist» entwickelt Verhaltensweisen, die
nicht community oriented sind, weil er kein Vertrauen in das Kollektiv und seine einzelnen
Mitglieder hat. Mit anderen kooperiert er nur, wenn für ihn ein persönlicher Vorteil dabei
herausspringt. Der amoralische Familismus ist also das Gegenteil von civicness
(Bürgerschaftlichkeit), die vorherrscht, wenn eine Gemeinschaft das eigene «soziale
Kapital» als «Gemeingut» betrachtet, als Generator gemeinschaftlicher Normen und Werte,
wenn sie Vertrauen hat in ein Gemeinwesen, mit dem sich alle (oder viele) identifizieren.
Das «soziale Kapital» wird so zu einem Schlüsselkennzeichen der Gemeinschaft,
zusammengehalten durch eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Werte und die
Teilhabe aller am Netz sozialer Beziehungen. Alles, was Banfield zufolge in den
rückständigen Gesellschaften des italienischen Mezzogiorno fehlt.
Ein weiterer bemerkenswerter Essay ist der des amerikanischen Soziologen Robert
Putnam, der 1993 sein Making Democracy Work: Civic Traditions in modern Italy publiziert
hat. Ich würde es als «Wie man Demokratie zum Funktionieren bringt. Staatsbürgerliche
Traditionen im modernen Italien» übersetzen, Mondadori übernimmt in der italienischen
Ausgabe aber nur den Untertitel. Zwanzig Jahre lang hat Putnam (mit seinen Mitarbeitern
Robert Leonardi und Raffaella Nanetti) die Funktionsweise der verschiedenen Regionen
Italiens erforscht und dabei eine Methode angewandt, die schon von Alexis de Tocqueville
genutzt wurde, als er sein berühmtes Werk Über die Demokratie in Amerika schrieb. Der
methodische Ansatz war eine Analyse der Art und Weise, in der die neuen politischen
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