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Mit der Befreiung und der Nachkriegszeit schien die Stadt den außerordentlichen Elan
dieser Tage zu verlieren. Curzio Malaparte beschreibt 1949 in seinem Reportage-Roman
La pelle (Die Haut) drastisch die Lebensbedingungen der Neapolitaner und ihre Stimmung.
Er tut dies in den grellen, makabren Farben einer Prosa, in der sich das Blau des Meeres
mit dem Rot des Blutes mischt, der Wahnsinn mit der Obszönität, der Tragödie, der
Phantasie und der Resignation, dem Hunger und der Verunglimpfung. Im Kapitel Die
Jungfrau von Neapel begibt sich der Autor als Ich-Erzähler und Offizier des italienischen
Befreiungskorps in Begleitung eines amerikanischen Oberleutnants in einen Basso, eine
dieser typisch neapolitanischen armseligen Wohnhöhlen zu ebener Erde,[ 10 ] in dem man
ein Mädchen bewundern kann, das dort mit gespreizten Beinen seine Jungfräulichkeit
präsentiert. Für einen Dollar darf der Besucher mit dem Finger ihre Unversehrtheit
prüfen. Von ähnlichem Tenor sind alle in diesem Buch erzählten Begebenheiten. Perücken
gaukeln blonde Schamhaare vor, weil das den «Negern» so gefällt: «They like blondes»;[ 11 ]
eine homosexuelle Orgie mit der von einem Mann simulierten Entbindung; eine Gruppe
monströser Zwerginnen wie aus einem Gemälde von Hieronymus Bosch. So entsteht das
Bild einer von Dieben, Zuhältern, Huren bevölkerten Stadt, in der jeder bereit ist, sich für
Geld oder irgendeine andere Ware zu verkaufen, einer Stadt, der jede Würde abhanden
gekommen ist und in der das Leben nicht wieder zu fließen beginnt, sondern kriecht, und
zwar auf dem verkommensten Niveau. Eine Erzählung, die auf realen Vorkommnissen
oder zumindest realen Anlässen gründet, die aber von der expressionistischen
Vorstellungskraft des Autors, von seiner üppig wuchernden Phantasie zu jenen traumartig
visionären Bildern verzerrt werden, die typisch sind für seinen Stil. Ich weiß nicht, ob
Fellini jemals Malaparte gelesen hat. In gewissen «Monstrositäten», in gewissen
Deformationen und Exzessen seiner Figuren - angefangen bei La dolce vita - findet sich
eine analoge Darstellungsweise, scharf beobachtet und verzerrt, realistisch und
halluzinierend zugleich.
Man muss sich fragen, warum der Versuch einer Revolution 1799 und die Revolte von
 
 
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