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darüber hinweg, dass die Hautfarbe sehr wohl einen Unterschied macht. Nur
haben die Brasilianer ihren Rassismus besser kaschiert.
Wenn Weiße sich unbeobachtet fühlen oder sich unter ihresgleichen wähnen
und auf Political Correctness verzichten, schlägt dieser Rassismus gelegentlich
offen durch. Während eines Flugs nach Salvador, der Hauptstadt des überwie-
gend »schwarzen« Bundesstaats Bahía, saß ich einmal neben der Ehefrau eines
Großgrundbesitzers aus dem Landesinneren. Wir kamen ins Gespräch; als sie
hörte, dass ich Deutscher bin, fasste sie Vertrauen und fragte mich: »Wissen
Sie, was das größte Problem Brasiliens ist? Die Neger!«
So unverblümt hatte ich Rassismus in Brasilien noch nie erlebt, es war auch
eine Ausnahme. Normalerweise wird das Thema subtiler behandelt. Aber in be-
stimmten Situationen zeigt sich der Rassismus ganz offen.
Ich habe einen afrobrasilianischen Freund, der Kinderarzt ist und von Ein-
kommen und Bildungsstand zur Mittelschicht zählt. Wenn er nachts in seinem
Auto durch die Stadt fährt, kann er sicher sein, dass er bei Polizeikontrollen
dreimal so oft angehalten wird wie ein weißer Fahrer: Schwarze am Steuer eines
Mittelklassewagens stehen automatisch im Verdacht, das Auto gestohlen zu ha-
ben. Im Krankenhaus, wo mein Freund arbeitet, geschieht es oft, dass ihn Pa-
tienten, die ihn nicht kennen, nach dem Arzt fragen - wegen seiner Hautfarbe
halten sie ihn für einen Pfleger.
Unter den jungen Männern, die eines gewaltsamen Todes sterben, sind drei-
mal so viele Schwarze wie Weiße. Dennoch verweisen Anthropologen auf die
mildernde Wirkung des Schmelztiegels: Rassistische Gesetze wie in den USA
oder Südafrika hat es in Brasilien nie gegeben. Die Regenbogengesellschaft ver-
tuscht den Rassismus, aber sie hebt ihn nicht auf.
Die Ambivalenz der Rassenbeziehungen wurzelt in der Kolonialgeschichte.
Anders als die Spanier kontrollierten die Portugiesen ihre Kolonien nicht in ers-
ter Linie durch die Anwendung von Gewalt, sondern übers Bett: Sie vermisch-
ten sich mit einheimischen Indianern ebenso wie mit Sklavinnen oder deren
Töchtern. Es fehlte an weißen Frauen, zugleich hatten die weiblichen Nachfah-
ren der Sklaven den Ruf, besonders sinnlich zu sein. »Eine Weiße zum Heira-
ten, eine Schwarze zum Kochen und eine Mulattin fürs Bett«, lautete ein zyni-
sches Sprichwort unter brasilianischen Männern. Dass die Frauen oft zum Sex
gezwungen wurden oder aufgrund der Machtverhältnisse keine Chance zum
Widerstand sahen, wird verschwiegen.
Der Mythos von der »sinnlichen Mulattin« hält sich bis heute. Die Bücher
des populären brasilianischen Schriftstellers Jorge Amado haben zur Idealisie-
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