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und umfassendste Reformpaket seit der Verabschiedung der Verfassung von
1988 an.
Nach einem zweiwöchigen Proteststurm, der wie aus dem Nichts über das
Land gefegt war, wollte sie in den verbleibenden 18 Monaten ihrer Amtszeit
Veränderungen anschieben, die Brasilien nachhaltig umkrempeln würden: Sie
kündigte an, ein Plebiszit über die seit Jahrzehnten verschleppte Reform des
politischen Systems einzuberufen. Die Brasilianer sollten darüber abstimmen,
wie sie die Korruption bekämpfen und den Kongress transparenter gestalten
wollten.
Rousseff versprach, alle Exekutivebenen - Präsidentin, Gouverneure und
Bürgermeister - zu strenger Ausgabenkontrolle zu verpflichten, um die Inflati-
on einzudämmen.
Ärzte aus den Krisenstaaten Südeuropas sollten in den armen Regionen aus-
helfen, wo brasilianische Ärzte ungern arbeiten. Per Steuerreform wollte sie zu-
sätzliche Mittel aufbringen, um den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Bis-
lang hat die Regierung vor allem die Produktion von Autos gefördert. Die Ein-
nahmen aus der Ölförderung sollten ins öffentliche Bildungssystem fließen.
Korruption sollte zukünftig als Schwerverbrechen geahndet werden.
Einige dieser Initiativen waren nicht neu, auch die Präsidenten Fernando
Henrique Cardoso und Lula hatten eine Reform des politischen Systems an-
gekündigt, aber das Projekt war nicht vorangekommen. Im Kongress herrscht
Korpsgeist vor: Wenn es um ihre Privilegien geht, halten Abgeordnete und Se-
natoren aller Parteien zusammen.
Letztendlich müsste für einen nachhaltigen Umbau des politischen Systems
die Verfassung geändert werden. Das hatte die Präsidentin zunächst auch ange-
strebt, aber bereits einen Tag nach der Ankündigung einer Verfassungsreform
ruderte sie zurück: Die Abgeordneten des eigenen Regierungsbündnisses hat-
ten ihr die Unterstützung verweigert.
Auch die anderen Projekte der Präsidentin wurden im Kongress verwässert
oder blockiert. Sie schlitterte unversehens in die größte Krise ihrer Amtszeit, ih-
re Umfragewerte stürzten ab.
Abgeordnete aller Parteien, Gouverneure und Bürgermeister verabschiede-
ten in Rekordtempo eine Reihe von Maßnahmen, um die Demonstranten zu
beschwichtigen: Sie schlugen vor, die Fahrpreise für öffentliche Verkehrsmittel
einzufrieren oder sogar zu annullieren. Die Zusatzkosten wollten sie auf die
Zentralregierung abwälzen. Rousseff drohte mit einem Veto: Das Projekt würde
den Haushalt mit zusätzlichen Milliardenkosten belasten.
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