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finanziert. Das war fünf Jahre später längst hinfällig, die staatliche Entwick-
lungsbank BNDES finanzierte den Bau zu besonders günstigen Konditionen.
Den größten Anteil der Baukosten trugen die Bundesstaaten. Die Verträge,
die die Gouverneure mit den beteiligten Baufirmen geschlossen hatten, waren
undurchsichtig, Material und Ausführungskosten oft überteuert. Der Gouver-
neur von Rio de Janeiro reiste mit dem Flugzeug einer Baufirma durchs Land
und ließ sich in dessen Luxusressort in Bahia bewirten. Die einzigen mit der
WM verknüpften Bauten, die direkt der Bevölkerung zugute kommen sollten,
blieben entweder auf dem Papier oder wurden nur zu einem kleinen Teil um-
gesetzt. Die Modernisierung der Nahverkehrssysteme und der Flughäfen kam
nicht voran, die Städte waren so verstopft wie eh und je. Gleichzeitig verfielen
Schulen und Krankenhäuser.
Also alles wie immer in Brasilien, lästerten Zyniker. Dabei hatten kompeten-
te Kritiker wie der Sportexperte Juca Kfouri schon vor der Bewerbung davor ge-
warnt, dass Brasilien noch nicht reif sei für die Ausrichtung der WM: Die Kor-
ruption sei zu groß, Politiker und Techniker seien mit der Planung überfordert.
Nur die Fifa, die Baufirmen und abgefeimte Politiker würden profitieren.
Die Brasilianer standen im Ruf, dass sie nicht gerne zum Protestieren auf die
Straße gingen, sie waren weniger politisiert als etwa die Menschen im benach-
barten Argentinien. Außerdem bauten die Politiker darauf, dass die Mehrheit
die Verschwendung und Korruption hinnehmen würde, so war es bislang im-
mer gewesen. »Tudo acaba em Samba«, heißt ein brasilianisches Sprichwort:
Alles endet im Samba.
Doch die Zyniker hatten sich getäuscht. Die Mittelschicht ließ sich nicht län-
ger mit billigen Krediten für ein neues Auto oder eine Wohnung abspeisen. Die
Menschen wollten eine bessere Bildung für ihre Kinder, bessere Krankenhäu-
ser; einen Staat, der die Steuergelder endlich zum Wohl aller Bürger einsetzt
und nicht für die Privilegien einer kleinen Kaste.
Im Gespräch mit Freunden und Bekannten hatte ich diese Unzufriedenheit
wohl gespürt. Aber ich hatte nie damit gerechnet, dass sich der Frust in einem
Aufstand entladen würde. Keiner meiner Kollegen hatte das vorausgesehen,
auch nicht die brasilianischen Journalisten. Präsidentin Dilma Rousseff wurde
zwar nicht geliebt, aber respektiert. Seriöse Umfrageinstitute hatten Zustim-
mungswerte von 70 Prozent ermittelt. Bei den Wahlen im Oktober 2014 würde
sie damit locker im ersten Wahlgang siegen.
Wir alle - Journalisten, Politiker, Sozialwissenschaftler, NGOs und Umfra-
geinstitute - hatten die Protestbereitschaft der Brasilianer unterschätzt. Und
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