Travel Reference
In-Depth Information
Diese Hybris kennzeichnete auch ein weiteres umstrittenes Vorhaben: Er
wollte Brasilien zu einer Atommacht ausbauen. Insgesamt 16 Kernreaktoren
sollten überall im Land gebaut werden, so wollte Lula die Abhängigkeit von der
Wasserenergie verringern. Zugleich hauchte er dem Atomprogramm der Streit-
kräfte neues Leben ein. In dem Städtchen Iperó 80 Kilometer westlich von São
Paulo baut die Marine einen Nuklearreaktor, der Brasiliens erstes Atom-U-Boot
antreiben soll. Das Programm stammt aus der Zeit der Militärdiktatur, die Ge-
neräle wollten eine eigene Atombombe entwickeln. Lulas Amtsvorgänger Car-
doso und Collor hatten allen militärischen Atomprojekten abgeschworen, Lula
dagegen pumpte wieder Geld in das Projekt. Inspektoren der Internationalen
Atomenergiebehörde verweigerte die Regierung den Zutritt zu den Zentrifugen
für die Urananreicherung. Kritiker unterstellten Lula deshalb, dass er die Bom-
benpläne der Militärdiktatur wieder aufgenommen habe. Sowohl Lula wie auch
sein Vizepräsident José Alencar hatten mehrmals durchblicken lassen, dass die
kommende Großmacht Brasilien nur ernst genommen würde, wenn sie eine
Atombombe besitze.
Im Jahr 2009 durfte ich als erster ausländischer Journalist das »Projekt Ara-
mar« besichtigen, wie der Bau des Reaktors genannt wird. Das Städtchen Iperó
erscheint auf den ersten Blick nicht gerade als ideales Testgelände für einen
neuen U-Boot-Antrieb. Das Meer ist Hunderte Kilometer entfernt, zwischen
den grünen Hügeln erstrecken sich Bohnen- und Auberginenfelder. Die ländli-
che Idylle täuscht: Am Stadtrand liegt die bestgehütete Militäranlage Brasiliens.
Hinter hohen Zäunen mit Stacheldraht und Wachtürmen arbeiten 1200 Solda-
ten und Zivilangestellte, sie bauen den Reaktor für Brasiliens erstes Atom-U-
Boot. Brasilien brauche ein atomgetriebenes U-Boot, um seine über 8000 Ki-
lometer lange Küste und die davor lagernden Ölvorkommen zu schützen, argu-
mentiert die Regierung.
Seit 2007 hat die Regierung über 250 Millionen Dollar in den Bau des Reak-
tors gesteckt. 2021 soll das erste von insgesamt sechs Atom-U-Booten vom Sta-
pel laufen, in Rio de Janeiro wird dafür eine Werft gebaut.
Die Turbinen für den U-Boot-Antrieb baut die brasilianische Siemens-Nie-
derlassung. Auch fünf konventionelle U-Boote wollte Brasilien in Deutschland
bestellen, die Gespräche mit der Kieler Howaldts-Werft waren schon weit ge-
diehen. Doch den Rumpf und die Ausstattung für das ebenfalls gewünschte
Atom-U-Boot darf Deutschland nicht liefern, auch bei der Ausstattung für die
Torpedorohre mussten die Kieler passen. So platzte das gesamte Geschäft.
Search WWH ::




Custom Search