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Dirceu hat eine schillernde Vergangenheit: Er war Studentenführer und Gu-
errillero, während der Militärdiktatur ging er ins Exil nach Kuba, dort ließ er
sich von einem plastischen Chirurgen eine neue Nase verpassen. Anschließend
kehrte er nach Brasilien zurück, wo er jahrelang unerkannt und unter falschem
Namen in der Provinz lebte; erst nach der Amnestie 1979 gab er sich zu erken-
nen. Er hatte Lula überzeugt, den »Brief an alle Brasilianer« zu verfassen, in
dem er versprach, eine verantwortungsbewusste Wirtschaftspolitik zu führen,
so hatte er sich um Lulas Sieg verdient gemacht.
Auch der Mann, den Lula als seinen Favoriten für die Nachfolge im Präsi-
dentenamt auserkoren hatte, stolperte über einen Korruptionsskandal: Wirt-
schaftsminister Antonio Palocci musste zurücktreten, weil er gegen einen Haus-
meister vorgegangen war, der ein Gebäude hütete, in dem sich Palocci mit Un-
ternehmern traf. Palocci war vor seiner Berufung zum Minister Bürgermeister
seiner Heimatstadt Ribeirão Preto im Bundesstaat São Paulo gewesen; dort war
er angeblich in Schiebereien mit der städtischen Müllabfuhr verstrickt.
Lula fiel es schwer, sich von Mitarbeitern zu trennen. Er sah die Korruption
nicht als drängendstes Problem seiner Regierung und war nachsichtig mit Ver-
bündeten, die in Skandale verstrickt waren. Die Regierungsfähigkeit war ihm
wichtiger als ein moralisch sauberes Kabinett. Ohne zu zögern ging er Bündnis-
se mit einigen der berüchtigtsten und verrufensten Politikern und Parteien des
Landes ein. Ex-Präsident Jose Sarney, der seinen Heimatstaat Maranhão wie
ein Feudalherrscher des 19. Jahrhunderts kontrollierte, wurde zum Präsiden-
ten des Senats gewählt; er sorgte dafür, dass die PMDB bei wichtigen Abstim-
mungen zur Regierung hielt. Auch anderen obskuren Figuren der Vergangen-
heit verhalf die PT-Regierung zu einem Comeback: Der wegen eines Korrupti-
onsskandals zurückgetretene Ex-Präsident Fernando Collor und sein Helfers-
helfer Renan Calheiros agierten im Kongress, um Lulas Regierungsbündnis zu-
sammenzuhalten.
Lula baute darauf, dass der Wirtschaftsboom den Verdruss in der Bevölke-
rung über seine korrupten Helfer überdecken würde. In der Tat erlebte Brasi-
lien während der Lula-Jahre eine der längsten Aufschwungphasen seiner Ge-
schichte. Die Wirtschaft wuchs zeitweise über sieben Prozent im Jahr. Die neue
Mittelschicht kaufte Flachbildfernseher, Computer, Smartphones, Autos und
Wohnungen - zumeist auf Raten. Gleichzeitig stiegen die Löhne und Gehälter,
die Arbeitslosigkeit sank nahe null. Erstmals seit Jahrzehnten schloss sich die
Einkommensschere zwischen Arm und Reich.
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