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Den größten Teil der Staatshilfe verwenden die Bedürftigen für den Kauf von
Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs. Bolsa Família kurbelte den
Wirtschaftszyklus ganzer Städte und Dörfer an. Zahlreiche Regierungen in La-
teinamerika, Afrika und Asien kopierten das brasilianische Modell zur Hunger-
bekämpfung, selbst US-Präsident Barack Obama zeigte Interesse.
Ich habe in Recife eine Familie besucht, die von Bolsa Família lebt. Susana
Oliveira do Nascimento, 54, und ihr Mann Adelson, 76, wussten, was Hunger
bedeutet. Als sie im Sertão lebten, dem trockenen Landesinneren des brasiliani-
schen Nordostens, reichte ihr Einkommen meist nur für einen Teller Fubá täg-
lich, mit Wasser angedicktes Maniokmehl. Wenn keine Dürre herrschte, leiste-
ten sie sich ab und zu Reis und Bohnen. »Fleisch habe ich nur auf den Tellern
der anderen gesehen«, erzählte der ehemalige Landarbeiter Adelson.
Fünf Jahre zuvor hatte das Ehepaar den Sertão verlassen und war in die Fa-
vela Brasília Teimosa in der Millionenstadt Recife an der Küste gezogen. Susana
war in dem Slum aufgewachsen, als er noch eine Ansammlung von Holzhütten
war, die auf Stelzen in die Mangrovensümpfe gebaut waren. »Ratten sausten
durch die Zimmer und bissen unsere Kinder«, erinnerte sie sich.
Brasília Teimosa war eine der ärmsten Favelas von Recife. Anfang der 1960er
Jahre hatten Obdachlose das Sumpfgelände neben dem Nobelviertel Boa Via-
gem besetzt, sie widerstanden Dutzenden Räumungsversuchen der Polizei.
Heute leben hier über 30 000 Menschen. Busse rumpeln durch die Gassen; Ge-
schäfte, Restaurants und Banken säumen die Hauptstraße, die meisten Häuser
sind inzwischen aus Stein.
Susana und Adelson wohnten in einem schmalen, zweistöckigen Gebäude,
eine steile Treppe führte zu ihrer Wohnung. Der Fernseher lief, ihr 14-jähriger
Sohn Miqueias lümmelte sich auf dem Sofa, aus der winzigen Küche drang der
Duft von gebratenem Fleisch. Susana bot mir Kekse und Saft an. »Essen fehlt
uns nicht mehr«, sagte sie. »Das haben wir Lula zu verdanken.« Der Präsi-
dent hatte Brasília Teimosa als eines von drei Pilotprojekten für sein Hunger-
bekämpfungsprogramm ausgewählt.
Die Regierung ließ eine Strandpromenade bauen, der Slum verfügt jetzt über
staatliche Kindergärten, Schulen und Gesundheitsposten. »Es ist schwer, dem
Zugriff des Staates zu entkommen«, sagte Susana Oliveira. Stolz zeigte sie mir
die kleine gelbe Karte, die sie als Empfängerin von Bolsa Família ausweist.
Das Ehepaar lebte mit Kindern und Enkeln unter einem Dach, elf Menschen
teilten sich das kleine Haus, das sie einst von ihrer Mutter geerbt hatte. Die
Rente ihres Mannes eingerechnet, verfügte Susana über ein Familieneinkom-
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