Travel Reference
In-Depth Information
zu ihr vorgelassen wurde, war der Leichnam notdürftig mit einer Plane bedeckt.
Neben ihr lag das tote Baby, ein Junge.
Für Lula brach eine Welt zusammen. Er versank in Depressionen, seinen
Schmerz ersäufte er im Cachaça, dem brasilianischen Zuckerrohrschnaps. Er
flirtete herum, mit einer seiner Liebschaften aus jener Zeit hat er eine Tochter.
Er wartete auf eine neue Lourdes. Sagt Bescheid, wenn ihr eine junge Witwe
kennenlernt, sagte er den Kollegen in der Gewerkschaft. Lula, morgen kommt
eine hübsche Blondine, die hat jüngst ihren Mann verloren, steckte ihm eines
Tages ein Kollege. So lernte er Marisa kennen.
Sie wurde seine größte Stütze. Sie baute ihn auf, wenn er zweifelte; sie
stauchte ihn zusammen, wenn er einen über den Durst trank. Als First Lady
war sie diskret und zurückhaltend, aber kein Minister hat es je gewagt, sie zu
übergehen. Marisa fehlte bei keiner wichtigen Sitzung, sie war bei den meisten
Reisen und öffentlichen Auftritten an Lulas Seite. Marisa war es auch, die Lula
bestärkte, als er Ende der 1970er Jahre als Gewerkschaftschef den Kampf ge-
gen die Diktatur aufnahm. »Wir standen immer mit einem Bein im Gefängnis«,
erzählte mir Zezinho, ein alter Kampfgefährte Lulas. »Selbst auf dem Klo ha-
ben uns die Spitzel verfolgt.« Streiks waren verboten, wer agitierte, landete im
Gefängnis der Geheimpolizei in São Paulo. Lulas Bruder Frei Chico wurde eine
Woche lang gefoltert, weil die Polizei bei ihm kommunistische Literatur gefun-
den hatte.
Lula und seine Genossen trafen sich anfangs bei Marisa in der Küche. Als es
zu Hause zu eng wurde, zogen sie in die Kirche von São Bernardo, dort waren
sie vor der Polizei sicher. Lula hat sich noch nie versteckt: Wenn es kritisch
wird, sucht er die Öffentlichkeit, bis heute.
Bevor ihn 1979 die Polizei verhaftete, trank er Kaffee, gab Marisa einen Kuss
und trat vor die Tür. Einige Wochen verbrachte er in einer Zelle der Geheim-
polizei; niemand wusste, wo er war. Die verzweifelte Marisa ging mit den Frau-
en anderer Verschwundener auf die Straße, trommelte die Presse zusammen,
die Gewerkschaften drohten mit Streik. »Lula, Lula!« jubelten die Arbeiter, als
er freigelassen wurde. Längst ging es um mehr als Lohnerhöhungen, sie woll-
ten Demokratie, Freiheit, das Ende der Diktatur. Im folgenden Jahr organisier-
te Lula den ersten großen Streik gegen das Regime, bald darauf gründete er mit
ein paar Intellektuellen und linksgerichteten Kirchenvertretern die Arbeiter-
partei PT. »Wenn ein Arbeiter Präsident werden soll, brauchen wir eine Vertre-
tung im Kongress«, sagte er zum Weggefährten Zezinho. Lulas langer Marsch
nach Brasília begann.
Search WWH ::




Custom Search