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globalen Kasinokapitalismus zu spüren: Der Real galt als überbewertet, Anleger
zogen ihre Gelder ab.
Mit Hilfe des Weltwährungsfonds gelang es Cardoso, die Abwertung hinaus-
zuzögern, bis die Wahlen im Oktober 1998 gelaufen waren. Mit 53 Prozent wur-
de er im ersten Wahlgang wiedergewählt, Herausforderer Lula unterlag zum
dritten Mal.
Wenige Tage nach dem Beginn der zweiten Amtszeit Cardosos im Januar
1999 kam es zur befürchteten Abwertung. Innerhalb weniger Wochen fiel der
Real um 50 Prozent. Der IWF sprang mit Hilfskrediten bei, dennoch sollte sich
die Währung erst nach der Wahl Lulas vier Jahre später stabilisieren.
Die Abwertung führte zu einer Wirtschaftskrise, die allerdings nicht so dra-
matisch verlief wie frühere Abschwünge. Die Inflation war unter Kontrolle,
trotz der Abwertung vertrauten die Brasilianer ihrer Währung. Aber Cardoso
erreichte in seiner zweiten Amtszeit, die er so sehr herbeigesehnt hatte, nie wie-
der die Beliebtheitswerte seiner ersten vier Jahre.
Beim Urnengang 2002 durfte er nicht mehr antreten. Gesundheitsminister
Jose Serra, ein alter Weggefährte Cardosos im chilenischen Exil, ging für die
Sozialdemokraten ins Rennen. Aber die Chancen für Cardosos Favoriten stan-
den schlecht: Viele Brasilianer machten den Präsidenten für die Wirtschafts-
krise verantwortlich, sie sehnten sich nach einem Wandel. Erschwerend kam
hinzu, dass Serra über keinerlei Charisma verfügte, er war berüchtigt für seine
schlechte Laune. Außerhalb seiner Heimatstadt São Paulo stieß er auf wenig Be-
geisterung.
Lulas Chance war gekommen.
Der Triumph des Menschenfischers - Brasilien unter Lula
Ich bin Lula zum ersten Mal im November 1993 begegnet, an der Landstraße
BR-143 im Bundesstaat Mato Grosso do Sul nahe der Grenze zu Paraguay. Er
stand auf der Pritsche eines Lastwagens in Rio Brilhante, einem gottverlasse-
nen Dorf inmitten in einer grünen Einöde aus Rinderweiden, Maisfeldern und
Zuckerrohrplantagen. Ein verschwitztes T-Shirt spannte sich über seinem run-
den Bauch, jovial legte er den Arm um ein verschüchtertes Mütterchen, hielt ihr
ein Mikrofon vor den Mund und blickte sie erwartungsvoll an. Dann fragte er
sie mit seinem tief knurrenden Bass: »Worum würden Sie den Präsidenten bit-
ten, wenn Sie könnten?«
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