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verband ihn gegenseitige Wertschätzung. Der gemütliche Pfälzer Kohl kam bei
den Brasilianern besser an als der flapsige Gerhard Schröder oder die kühle An-
gela Merkel.
Intellektuell war Cardoso europäisch geprägt. Er sprach fließend Englisch,
Spanisch und Französisch sowie einige Brocken Deutsch. Das »Drittwelt-Land
Brasilien« habe jetzt einen »Erste-Welt-Präsidenten« lästerten seine Gegner.
Für Journalisten war er sehr zugänglich, als Spiegel -Korrespondent habe ich
ihn so oft interviewt wie keinen anderen lateinamerikanischen Politiker. Aller-
dings waren die Gespräche oft mühsam zu redigieren: Man merkte Cardoso den
Professor an, er formulierte gern in schwer verständlichem Soziologen-Portu-
giesisch und bombardierte seine Gesprächspartner mit Zahlen und Statistiken.
Wirtschaftspolitisch rührte Cardoso an einige Tabus: Er öffnete die staatliche
Ölgesellschaft Petrobras für private Investoren, ohne den Konzern zu privatisie-
ren - das war politisch nicht durchzusetzen. Vor allem aber privatisierte er die
schwerfälligen und ineffizienten staatlichen Telefongesellschaften. Allerdings
war der Verkauf der Staatsfirmen nicht transparent, bei dem Verfahren sollen
sich Politiker und Bankiers bereichert haben. Auf den Präsidenten fiel zwar kein
Korruptionsverdacht, doch in seiner Regierung gab es einige faule Äpfel.
Wenige Monate nach dem Beginn seiner Amtszeit ließ Cardoso seine Ver-
trauten im Kongress die Chancen für ein weiteres umstrittenes Projekt auslo-
ten: Er strebte die Wiederwahl an. Dafür war es nötig, die Verfassung zu än-
dern, denn sie erlaubte keine zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten.
Für die Verfassungsänderung war eine Dreifünftelmehrheit notwendig. Car-
dosos mächtiger Kommunikationsminister Sérgio Motta, der mit dem Präsi-
denten befreundet war, wurde beauftragt, Abgeordnete und Senatoren für das
Projekt zu gewinnen. Regierungsgegner behaupten, er habe mehreren Politi-
kern Geld angeboten. Bewiesen sind diese Vorwürfe nicht. Aber wenn man die
bereits erwähnte »Pferdehändler-Mentalität« im Kongress in Betracht zieht, er-
scheinen sie plausibel.
In der ersten Jahreshälfte 1997 verabschiedete der Kongress die von Cardoso
gewünschte Verfassungsreform. Ab sofort war eine einmalige Wiederwahl von
Bürgermeistern, Gouverneuren und dem Präsidenten erlaubt. Allerdings über-
schattete eine neue Finanzkrise Cardosos Aussichten: Die Asienkrise drohte
auch Brasilien in Mitleidenschaft zu ziehen. Anfang 1997 war Thailand in finan-
zielle Nöte geraten, die Krise griff rasch auf andere asiatische Länder und Russ-
land über. Erstmals bekam auch der südamerikanische Gigant die Folgen des
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