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ter), weil sie ihre Gesichter in den brasilianischen Nationalfarben gefärbt hat-
ten. Der Präsident ignorierte die Protestbewegung: »Hier ist alles normal«, ver-
kündete er in einer Fernsehansprache. Doch seine Mimik verriet ihn: Collor
riss die Augen weit auf, er gestikulierte mit fahrigen Bewegungen. Sein Auftritt
wirkte, als ob er unter Drogen stünde.
Anfang September 1992 leitete der Kongress schließlich ein Amtsenthe-
bungsverfahren gegen den Präsidenten ein. Die Abgeordneten erhoben sich,
fassten sich bei den Händen und stimmten die Nationalhymne an. Tränen ran-
nen über ihre Wangen, während die Zuschauer in dem überfüllten Sitzungs-
saal des Senats applaudierten und Millionen Fernsehzuschauer in Jubel aus-
brachen.
Die entscheidende Abstimmung war für den 29. des Monats angesetzt. Doch
bevor es dazu kam, trat Collor zurück: Er wollte nicht die Schmach über sich er-
gehen lassen, aus dem Amt gejagt zu werden.
Vizepräsident Itamar Franco übernahm die Regierungsgeschäfte bis zu den
nächsten Wahlen im Jahr 1994. Der Kontrast zu Collor konnte kaum größer
sein: Franco war ein verschlossener älterer Herr, er stammte aus Juiz de Fora
in Minas Gerais und bestätigte alle Vorurteile über die »Mineiros«, wie die Ein-
wohner des Bundesstaats genannt werden: Sie gelten als misstrauisch, fleißig
und introvertiert; ihre politischen Allianzen schmieden sie gern im Verborge-
nen. Der parteilose Franco war ein glühender Nationalist und hasste Auslands-
reisen. Mit Collor hatte er sich überworfen, Franco galt als absolut integer.
Den Brasilianern sollte Franco vor allem durch zwei kuriose Ereignisse in
Erinnerung bleiben: Im Karneval 1993 wurde er in der Präsidentenloge im
Sambodrom von Rio de Janeiro neben einer jungen Frau fotografiert, die kei-
nen Slip trug - das Bild schaffte es auf die Titelseite der größten brasilianischen
Zeitschrift Veja . Zwei Tage später stellte sich Lilian Ramos - so der Name der
Dame - bei einigen Auslandskorrespondenten in Rio vor, sie wollte gern inter-
viewt werden und erhoffte sich eine Karriere im Ausland. Tatsächlich lernte sie
später einen italienischen Geschäftsmann kennen und ging mit ihm nach Itali-
en.
Wirtschaftspolitisch setzte Franco durch, dass die Autos in Brasilien billiger
wurden. Die Regierung verabschiedete ein Gesetz, das Steuererleichterungen
für die Produktion von »Volksautos« mit einem Liter Hubraum vorsah. Erst-
mals wurde der Kauf eines Autos für die untere Mittelschicht erschwinglich.
Franco besaß ein Gespür für populistische Themen: Er setzte sich bei VW dafür
ein, die Produktion des einige Jahre zuvor eingestellten VW Käfers wieder auf-
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