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ser ins Bild gesetzt und häufiger erwähnt. Dennoch lieferten sich die beiden
Kandidaten lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Globo und Collor entfachten des-
halb einen regelrechten Propagandakrieg. Die Schmutzkampagne gipfelte in ei-
nem Fernsehduell, bei dem Collor seinem Kontrahenten vorwarf, eine außer-
eheliche Tochter zu haben. Brasilien war in religiösen und familiären Dingen
ein zutiefst konservatives Land.
Collor wurde mit 50,01 Prozent im zweiten Wahlgang zum Präsidenten ge-
wählt, er erhielt 5,71 Prozent mehr als Widersacher Lula. Der junge Aufsteiger
aus dem Nordosten war damit der erste frei und direkt gewählte Präsident Bra-
siliens seit 1961.
Von Collor zu Cardoso - die Mühen der Demokratisierung
Collor trat sein Amt am 15. März 1990 an. Nur einen Tag später verkündete
er den »Plano Collor«, eine Serie radikaler wirtschafts- und finanzpolitischer
Maßnahmen, um die Inflation zu bekämpfen. Er ließ Preise und Gehälter ein-
frieren und verbot Konteninhabern den Zugriff auf 80 Prozent aller
»Overnight«-Guthaben über 50 000 Cruzeiros. Viele Brasilianer hatten Schutz
vor der Inflation gesucht, indem sie ihr Geld über Nacht (overnight) anlegten,
die Banken setzten täglich neue Zinsen fest. Jetzt standen sie plötzlich ohne
Bargeld da. Außerdem führte die Zentralbank eine neue Währung ein, den
»Cruzado Novo«.
Der staatliche Zugriff auf die Konten sandte Schockwellen durch die brasilia-
nische Gesellschaft, viele empfanden es wie einen von der Regierung organisier-
ten Raubüberfall. Obwohl die Guthaben nach 18 Monaten schrittweise wieder
freigegeben werden sollten, bedeutete der »Plano Collor« de facto, dass zahlrei-
che Brasilianer ihre Einlagen verloren - nach 18 Monaten würden sie nur noch
einen Bruchteil wert sein. Einige nahmen sich aus Verzweiflung das Leben.
Eine der Erfinderinnen des »Plano Collor« war die junge Wirtschaftswissen-
schaftlerin Zélia Cardoso de Mello. Collor hatte sie gleich nach Amtsantritt zur
Finanzministerin berufen. Sie wurde rasch zur meistgehassten Politikerin des
Landes: Bald sickerte durch, dass Freunde und Bekannte der Ministerin vorzei-
tig von dem Plan zum Einfrieren der Konten erfahren hatten und ihre Gutha-
ben in Sicherheit bringen konnten. Hinzu kam, dass Cardoso de Mello über kei-
nerlei politische Erfahrung verfügte und mit der Umsetzung des »Plano Collor«
überfordert war.
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